Autor: rANgeLFIent

Video-Gutachten zum DPT


Was brauchen Kinder und wie können sie vor Gewalt geschützt werden? Expert*innen aus verschiedenen Bereichen der Prävention geben Antworten im aktuellen Video-Gutachten des Deutschen Präventionstages. Ab 18:30 berichtet Dr. Nadine Jastfelder über die Prävention sexualisierter Gewalt. „Weil gut informierte und reflektierte Erwachsene für Kinder den Unterschied machen können!“

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Landeskinderschutz­gesetz: Neue Webseite der PsG.nrw informiert über Rechte- und Schutzkonzepte


Bild zur kostenlosen Verwendung: PsG.nrw, (c) K. Unger

Köln, den 3.5.2022. Anlässlich des am 1.5. in Kraft getretenen Landeskinderschutzgesetzes NRW hat die Landesfachstelle Prävention sexualisierte Gewalt (PsG.nrw) eine neue Webseite zum Thema Rechte- und Schutzkonzepte freigeschaltet. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe finden hier vertiefende Informationen, praktische Beispiele und Literaturtipps zum Weiterlesen.

Landeskinderschutzgesetz                                       

Die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken und wahren: Das ist das Ziel des am 1.5.2022 in Kraft getretenen Landeskinderschutzgesetzes (Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen).

Unter anderem bezweckt es eine Verankerung von Schutzkonzepten in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. Denn Schutzkonzepte dienen als Schlüssel zum systematischen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und weiteren Gewaltformen und zur Stärkung ihrer Rechte.

Rechte- und Schutzkonzepte

Für die zahlreichen Fach- und Leitungskräfte der Kinder- und Jugendhilfe, die sich nun in den Prozess der Konzeptentwickelung begeben oder bereits involviert sind, bietet die Landesfachstelle Prävention sexualisierte Gewalt (PsG.nrw) unter psg.nrw/rechte-und-schutzkonzepte ab sofort eine Webseite mit vertiefenden Informationen zum Thema an. 

Die Seite liefert Informationen zu den einzelnen Bausteinen von Schutzkonzepten, praktische Tipps und konkrete Beispiele. Zudem enthält sie passende Literaturtipps zum Weiterlesen.

Schutzkonzepte sollen Kinder und Jugendliche systematisch vor sexualisierter Gewalt schützen. Sie bezeichnen ein Zusammenspiel aus der Analyse von Risiken und Schutzfaktoren einer Organisation, strukturellen Veränderungen, Absprachen und Vereinbarungen aller Beteiligten und einer gemeinsamen Haltung und schützenden Kultur.

Weil ihr Kern die Stärkung von Kindern und Jugendlichen als Rechteträger*innen ist, ist die Bezeichnung „Rechte- und Schutzkonzept“ zutreffender.

Rechtlicher Hintergrund

Die Schutzkonzept-Pflicht des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes betrifft ausschließlich erlaubnispflichtige Einrichtungen und Pflegepersonen.[1] Jugendfreizeiteinrichtungen, Waldkindergärten oder ähnliche Einrichtungen und Angebote waren hingegen davon nicht betroffen.

Nun werden im Rahmen des Landeskinderschutzgesetzes zum einen auch nicht erlaubnispflichtige Einrichtungen – wie z.B. Jugendfreizeiteinrichtungen – angesprochen.[2] Zudem werden Träger nichtinstitutioneller Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes, soweit sie eine Förderung nach dem Kinder- und Jugendförderplan des Landes NRW erhalten oder beantragen, adressiert. Auch Träger außerunterrichtlicher Angebote der Offenen Ganztagsschule im Primarbereich sollen auf die Erstellung von Schutzkonzepten hinwirken und eine Verzahnung mit den schulischen Schutzkonzepten anstreben.

Das Landeskinderschutzgesetz greift zentrale politische wie fachliche Forderungen aus der Aufarbeitung der bekannt gewordenen Fälle sexualisierter Gewalt in NRW auf. Es enthält verschiedene Maßnahmen, um die Qualität des Kinder- und Jugendschutzes in NRW zu stärken und die strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Das Gesetz wird kontinuierlich weiterentwickelt.

[1] gemäß §§ 45 Absatz 2 Nr. 4, 37b Absatz 1 SGB VIII

[2] gemäß § 11 Absatz 3 LKindSchG NRW

Die PsG.nrw ist die erste Fachstelle eines Bundeslandes zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Vorrangig richtet sich ihr Angebot an Fachkräfte der freien Kinder- und Jugendhilfe und Akteur*innen in der Prävention von sexualisierter Gewalt. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Breitensensibilisierung, fachliche Vernetzung, die flächendeckende Qualifizierung von Fachkräften und die Verankerung von institutionellen Schutzkonzepten. Die PsG.nrw berät zu Schutz und Vorbeugung, vernetzt Akteur*innen und Angebote und leistet einen aktiven Beitrag zur Qualitätsentwicklung. Außerdem vermittelt sie an Fachberatungsstellen und regionale Angebote. So schafft sie Handlungssicherheit und Orientierung. Die Fachstelle sitzt in Köln und wird gefördert vom MKFFI des Landes NRW. Trägerin ist die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) NRW.

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Neue Webseite zu Rechte- und Schutzkonzepten

Köln, den 03.05.2022. Die PsG.nrw hat eine neue Webseite zum Thema Rechte- und Schutzkonzepte mit Informationen, Tipps und Literaturhinweisen veröffentlicht. Anlass ist das Inkrafttreten des Landeskinderschutzgesetzes am 1.5. diesen Jahres. Dieses bezweckt unter anderem eine flächendeckende Verankerung von Schutzkonzepten in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe.   

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Baustein 2: Risiko- und Potentialanalyse


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Die Risiko- und Potentialanalyse steht zu Beginn der Entwicklung des Rechte- und Schutzkonzeptes, sie ist fester Bestandteil davon. Sie beschreibt die sorgfältige und systematische Untersuchung aller Bereiche der Organisation, wie z.B. Räumlichkeiten, Personalverantwortlichkeiten, Konzepte oder die Teilhabe an und Zugänglichkeit von Informationen. Ziel ist es, die ‚verletzlichen‘ Stellen in der Einrichtung oder dem Angebot aufzudecken, mit weiteren Maßnahmen des Schutzkonzeptes darauf zu reagieren und die Risiken zu minimieren.

Die Analyse sollte als partizipativer Prozess der Organisationsentwicklung durchgeführt werden. Kinder und Jugendliche als Expert*innen ihrer Lebenswelt müssen die Möglichkeit haben, ihre Sorgen und Ängste beizutragen, die Orte zu benennen, an denen sie sich unwohl fühlen, Wünsche für Veränderungen und Weiterentwicklungen zu äußern etc.

Sie verfolgt systematisch zwei Fragen:

  • Welche Bedingungen könnten Täter*innen bei uns nutzen, um sexualisierte Gewalt vorzubereiten und auszuüben?
  • Welche Ressourcen sind zum Schutz der Kinder und Jugendlichen bereits vorhanden?

Im vorigen Teil haben wir die Choice-, Voice- und Exit-Optionen erläutert. Hier gilt es nun zu klären: An welchen Stellen sind diese Optionen kaum oder gar nicht vorhanden? Haben Organisationen Schwachstellen bei der Gewährleistung dieser höchstpersönlichen Rechte? Schlüsselfragen sind:[1]

  • Gibt es im Alltag bestimmte Gelegenheiten, bei denen es im Kontakt zu Problemen von Nähe und Distanz kommen kann?
  • Gibt es mit Blick auf bestimmte professionelle Tätigkeiten oder Interaktionen die Möglichkeit / das Risiko von Machtmissbrauch, Grenzüberschreitungen oder Übergriffen?
  • Gibt es im Alltag mögliche Schlüsselsituationen, in denen die Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht geachtet werden oder in denen ihre Achtung in Gefahr ist?

Die Beantwortung dieser Fragen gilt es auch für den Umgang mit digitalen Medien zu klären. Auch hier sind mögliche Schwachstellen zu identifizieren.

Eine Risiko- und Potentialanalyse führt immer zu Konsequenzen in Form von Maßnahmen für die Einrichtung, die dann im weiteren Prozess der Schutzkonzeptentwicklung umgesetzt werden. Es geht um die langfristige Veränderung von Organisationen und darum, Reflexionsprozesse anzuschieben: Die lernende Organisation ist ein Qualitätskriterium für Rechte- und Schutzkonzepte.

In der Broschüre der Evangelischen Kirche im Rheinland (Hrsg.): „Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt“ finden Sie beispielhaft ganz konkrete Fragestellungen für einzelne Organisationen, hier zu den folgenden Komplexen[2]:

  • Gemeinde
  • Räumlichkeiten
  • Personalverantwortung / Strukturen
  • Konzept
  • Zugänglichkeit der Informationen
  • andere Risiken

Die Fragen lauten etwa:

  • Räumliche Gegebenheiten / Innenbereich:
    • Gibt es abgelegene, nicht einsehbare Bereiche (auch Keller und Dachböden)?
    • Gibt es Räumlichkeiten, in die sich die Nutzer*innen bewusst zurückziehen können?
    • Werden die oben genannten Räume zwischendurch „kontrolliert“?
  • Personalverantwortung / Strukturen
    • Gibt es ein Leitbild zum Schutz vor sexualisierter Gewalt?
    • Haben wir ein Schutzkonzept?
    • Wird das Thema Prävention in Bewerbungsverfahren aufgegriffen?
    • Werden Verantwortliche / Mitarbeitende regelmäßig fortgebildet?
  • Nutzung digitaler Medien / Kommunikation
    • Gibt es einen Verhaltenskodex für Chatgruppen?
    • Gibt es Ansprechpersonen bei möglichen Online-Konflikten oder Grenzverletzungen?
  • Beteiligung und Beschwerde
    • Welche (auch anonymen) Möglichkeiten haben Kinder und Jugendliche sich zu beschweren / ihre Anliegen zu äußern?
    • Werden die Kinder und Jugendlichen über alle Entscheidungen ausreichend und angemessen informiert, wenn sie nicht direkt am Entscheidungsprozess beteiligt werden (können)?
    • Welche fest verankerten Partizipationsmöglichkeiten gibt es in der Einrichtung?

[1] Vgl. Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Weinheim: Beltz 2018. S. 81.

[2] Evangelische Kirche im Rheinland (Hrsg.): Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Düsseldorf 2021. S. 6 und 8.

Literatur- und Materialempfehlungen

Evangelische Kirche im Rheinland (Hrsg.): Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Düsseldorf 2021.

FIPP (Fortbildungsinstitut für die pädagogische Praxis): Institutioneller Kinderschutz: Das partizipative Schutzkonzept. Berlin 2021. Insbes. Kapitel 3 und 4.

LWL-Landesjugendämter (Hrsg.): Aufsichtsrechtliche Grundlagen – Organisationale Schutzkonzepte in betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche nach § 45 SGB VIII. Köln/Münster 2021.

Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Beltz: Weinheim 2018.

 Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.


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Baustein 3: Leitbild


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Ein Leitbild kann die Werte und Prinzipien Ihrer Organisation nach außen wie nach innen kommunizieren. Dies gilt auch für die ethischen Standards der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Die Verankerung der Prävention sexualisierter Gewalt an zentraler Stelle im Leitbild Ihrer Organisation verdeutlicht die Wichtigkeit, die dem aktiven Schutz vor sexualisierter Gewalt zugesprochen wird. Es geht um das Selbstverständnis, dass die Organisation ein sicheres Umfeld bietet, in dem sich Kinder und Jugendliche ungestört entwickeln und lernen können. Auf der Basis der Kinderrechte geht es darum, Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenskompetenz zu stärken. Die Einhaltung der Kinderrechte und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist die Grundlage von Prävention!

Dabei kann es um Themen gehen wie:

  • eine Kultur der Achtsamkeit und der Grenzachtung zu etablieren (mehr dazu im Baustein 1, Gemeinsame Haltungen finden)
  • Der Weg ist das Ziel: Haltung und Reflektion, eine lernende Organisation zu sein

Das Leitbild vereint dabei allgemeine wie auch organisationsspezifische Aspekte.

Hier sind ein paar wichtige Schlagworte, die im Leitbild Platz finden können:

  • UN-Kinderrechtskonvention
  • Partizipation als Grundhaltung
  • klare Positionierung gegen (sexualisierte) Gewalt
  • schützendes Handeln
  • Balance von Selbstbestimmung und Schutz
  • Verantwortung bei den Leitungspersonen und Mitarbeitenden
  • Ressourcenorientierung und Stärkung der Autonomie junger Menschen
  • offene und positive Gesprächs- und Fehlerkultur

Außerdem sollte dort festgehalten sein, dass sich die Prävention auf den analogen wie auch den digitalen Raum bezieht.

Wichtig ist es auch, das Leitbild gender- und kultursensibel zu formulieren, um alle gleichermaßen anzusprechen und abzuholen. 

Das Leitbild sollte partizipativ weiterentwickelt werden, allen Beteiligten bekannt und veröffentlicht sein.

Das Gesamtleitbild Ihrer Organisation kann als Grundlage für das Leitbild zum Rechte- und Schutzkonzept genutzt werden. Beide sollten inhaltlich eng verzahnt sein.

Praxistipp:

Es macht Sinn, die Überlegungen zur Verankerung des Themas im Leitbild an den Anfang zu stellen. Vielleicht können Sie auf ein schon bestehendes Leitbild zurückgreifen und dies auf die genannten Fragestellungen überprüfen. Die Diskussion über das Leitbild kann gut genutzt werden, um die pädagogische Haltung im Team zu reflektieren. Am Ende des Prozesses der Konzeptentwicklung sollte das Leitbild aber dann noch einmal auf Herz und Nieren geprüft werden. Passt alles noch zu dem Entwickelten? Ist alles Wichtige enthalten?


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Baustein 10: Prävention ist ein Prinzip


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Ein entscheidender Grundsatz in der Prävention lautet: Prävention ist ein Prinzip, kein Projekt!

Nun, da Sie Ihr Rechte- und Schutzkonzept erstellt haben, gilt es, dieses mit Leben zu füllen und es als einen steten Prozess zu betrachten.

Ein Rechte- und Schutzkonzept hat wenig Wert, wenn es nicht umgesetzt wird:

Nach der Konzeptionsphase schließt sich die Umsetzung an, also die Integration der Ziele und Inhalte in den pädagogischen Arbeitsalltag.

  • Es braucht Alltagsbezug, das heißt, die Relevanz des Themas muss für alle Mitarbeitenden klar sein.
  • Es braucht auch Mut und Bereitschaft zur Veränderung, Lust auf einen Prozess der Teamentwicklung.
  • Es muss kulturell und strukturell nachhaltig eingebunden werden.
  • Es braucht Öffentlichkeitsarbeit, um die Maßnahmen nach innen wie nach außen zu verdeutlichen und somit auch abschreckend auf potenzielle Täter*innen zu wirken.
  • Es braucht eine stete Partizipation der Zielgruppen.
  • Es braucht eine Öffnung der Organisation; Transparent, Kooperation und Vernetzung.

Ziel ist auch, dass das Rechte- und Schutzkonzept stets den neusten Standards entspricht und aktuell ist. Alle Angaben von verantwortlichen Personen sind aktualisiert.

Um Umsetzung, Aktualität und Nachhaltigkeit Sorge zu tragen, wird das Konzept regelmäßig überprüft und z.B. mit neuen Mitarbeitenden besprochen. Die Arbeit mit dem Rechte- und Schutzkonzept muss ausgewertet, bewertet und fachgerecht beurteilt werden. Das Rechte- Schutzkonzept muss dann weiterentwickelt oder angepasst werden.

Evaluation

Um Ihr Schutzkonzept zu evaluieren, sollten Sie[1]:

  • einen Überprüfungszeitraum im Schutzkonzept verankern,
  • einen regelmäßigen Austausch zu den Erfahrungen bei der Umsetzung des Schutzkonzeptes ermöglichen,
  • die Risikoanalyse regelmäßig überprüfen und bei Bedarf wiederholen,
  • eine Auswertung von Verdachtsfällen und konkreten Fällen in der Einrichtung vornehmen,
  • eine Beschlussfassung zu notwendigen Veränderungen/Verbesserungen formulieren.

Zur regelmäßigen Überprüfung nach einigen Jahren kann folgendes Tool der Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung hilfreich sein: https://ecpat-schutzkonzepte.de/selbstbewertung

[1] Quelle: Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021, S. 38. 


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Baustein 6: Sexuelle Bildung


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Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz. Dieser Schutz darf aber nicht ihr Bedürfnis nach – z.B. sexuellen – Erfahrungsräumen überlagern: Die Prävention von sexualisierter Gewalt bedeutet nicht die Prävention von Sexualität. In den Präventionsbemühungen geht es darum, die positive Kraft der Sexualität zu nutzen, um Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenskompetenz zu stärken. In diesem Sinne ist sexuelle Bildung ein Baustein von Prävention sexualisierter Gewalt und fester Bestandteil eines Schutzkonzeptes.

Kindlicher Sexualität gerecht werden

Der Mensch ist ein sexuelles Wesen, von Anfang an. Darum ist das Vorurteil auch nicht zutreffend, dass sexuelle Bildung eine „Frühreife“ nach sich ziehen kann. Sexualität ist ein Lebensthema; die sexuelle Entwicklung läuft nicht einfach als biologisches Programm ab, sondern findet im Prozess in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen statt. Dafür braucht es Schutz- und Erfahrungsräume, die ein Rechte- und Schutzkonzept gewährleisten muss.

Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen kindlicher Sexualität und erwachsener Sexualität: So kann es zwar ähnliche körperliche Reaktionen geben, wie z.B. schöne Gefühle bei Kindern, wenn sie etwa auf einem Kissen herumrutschen. Kinder schreiben den Erlebnissen aber eine völlig andere Bedeutung zu als Erwachsene, sie haben eine ganz andere Wahrnehmung von dem, was da gerade passiert. Es ist also entscheidend, nicht die eigene erwachsene Sicht auf das kindliche Verhalten zu übertragen (etwa, wenn Kinder Körpererkundungsspiele, sogenannte Doktorspiele spielen). Das ist nicht immer leicht, und auch deshalb ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie, mit eigenen Werten, Normen und Erfahrungen so wichtig. Kindliche Sexualität ist spontan, neugierig, spielerisch; es geht um Geborgenheit und Kuscheln und das Körpererleben mit allen Sinnen. Sie kann im selbstbezogenen Spielen, durch Erkundungs- und Rollenspiele ausgelebt und erprobt werden; das eigene Handeln wird nicht bewusst als sexuell wahrgenommen. Dieses Thema können Sie im hier verlinken Interview „Nur wer Bescheid weiß, kann auch Bescheid sagen“ aus dem AJS Forum 3/21 vertiefen.

Kinderrechte vereinbaren

Der Schutz vor sexualisierter Gewalt muss Hand in Hand gehen mit der Gewährleistung weiterer Kinderrechte, nämlich dem auf Befähigung, Partizipation und Information und im Jugendalter auch dem selbstbestimmten, grenzachtenden Leben der eigenen Sexualität. All dies gemeinsam ist entscheidend, damit das Kindeswohl gewährleistet werden kann.

Kinder und Jugendliche brauchen eine altersangemessene, sexualfreundliche Begleitung, die sie in ihren Erfahrungen im Umgang mit Bedürfnissen, Körperlichkeit, Beziehungen, geschlechtlicher Identität und Vielfalt wahrnimmt und ernst nimmt. Diese Erfahrungen sind sexuelle Lernfelder: Sie schaffen ein bestimmtes Körper- und Lebensgefühl und fördern die Beziehungs- und Liebesfähigkeit, die in der Sexualität Voraussetzung ist, um die eigenen Grenzen und die der anderen wahrzunehmen und einzuhalten.

So geht es beispielsweise auch um die Verbesserung der Sprachfähigkeit zu sexuellen Themen, denn nur wer Worte zur Verfügung hat, kann Wünsche und auch Grenzen kommunizieren.

Kinder und Jugendliche müssen, ihrem Entwicklungsstand angemessen, über Sexualität und auch sexualisierte Gewalt aufgeklärt werden – dies ist ein essenzieller Bestandteil der Prävention: Denn nur wer Bescheid weiß, kann auch Bescheid sagen.

Im Übrigen haben Menschen explizite sexuelle Rechte, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) universell gültig sind und sich aus den universellen Menschenrechten ableiten. Dazu gehören viele der oben genannten Aspekte.

Sexualpädagogisches Konzept

Ein sexualpädagogisches Konzept kann mit Ihrem Rechte- und Schutzkonzept Hand in Hand gehen und den Aspekt der sexuellen Bildung in Ihrer Organisation verankern. Dieses kann …

  • Sexualität als etwas grundsätzlich Positives, als menschliche Eigenschaft und Ressource beschreiben,
  • die sexuellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen anerkennen und Lust als positive Lebensenergie beschreiben,
  • sexuelle Rechte anerkennen und Selbstbestimmung ermöglichen,
  • sexuelle und geschlechtliche Identität thematisieren und Diskriminierung verhindern,
  • die Bedingungen klären, unter denen es Erlaubnis- und Erfahrungsräume in der Einrichtung gibt,
  • eine Kultur des Sprechens über Körper und Sexualität etablieren; Sexual- und Körperaufklärung gewährleisten.

Vgl. auch Martin Gnielka, isp, www.gnielka.de

Literatur- und Materialempfehlungen

Bodmer, Nancy M.: Psychologie der Jugendsexualität: Theorie, Fakten und Interventionen. Hogrefe: Göttingen 2013.

BZgA (Hrsg.): Liebevoll begleiten … Körperwahrnehmung und körperliche Neugier kleiner Kinder. Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Entwicklung vom 1. bis zum 6. Lebensjahr. Köln 2017.

Krüger, Michael, AJS Bayern (Hrsg.): Kinderschutz: Sexualerziehung in der Kita – Grundlagen, Konzept, Prävention. Don Bosco: München 2021.

Linke, Thorsten e.a.: Sexuelle Bildung in der Kinder- und Jugendhilfe: Die Bedeutung von Vertrauenskonzepten Jugendlicher für das Sprechen über Sexualität in pädagogischen Kontexten. Psychosozial-Verlag: Gießen 2020.

Martin / Nitschke: Sexuelle Bildung in der Schule: Themenorientierte Einführung und Methoden (Brennpunkt Schule). W. Kohlhammer: Stuttgart 2017.

Maywald, Jörg: Sexualpädagogik in der Kita. Kinder schützen, stärken, begleiten.  Herder: Freiburg/Basel/Wien 2018.

Der Paritätische NRW (Hrsg.): Zärtlich, sinnlich, schön – kindliche Sexualität. Fünf Schritte zum sexualpädagogischen Konzept in Kindertageseinrichtungen – eine Arbeitshilfe. Wuppertal 2019. Die Broschüre gibt es zum kostenlosen Download.

Weidinger, Bettina: Sexualität im Beratungsgespräch mit Jugendlichen. Springer: Berlin 2007.

WHO-Regionalbüro für Europa und BZgA: Standards für die Sexualaufklärung in Europa. Rahmenkonzept für politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Expertinnen und Experten. Köln 2011. 

World Association for Sexual Health: Declaration of Sexual Rights. Minneapolis 2014.


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Baustein 5: Prävention – Umgang mit Kindern und Jugendlichen


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Präventionsangebote und Partizipation 

Entscheidender Baustein von Schutzkonzepten ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in vielen Bereichen.

  1. In Form von alters- und bedarfsgerechter Information und Aufklärung: Kinder und Jugendliche haben Rechte und sollen das auch wissen. Wissen ist Macht. Und der Präventionsgrundsatz „Nur wer Bescheid weiß, kann auch Bescheid sagen“ muss hier Berücksichtigung finden.
  2. In Form von Beteiligung und Partizipation: Kinder und Jugendliche brauchen Selbstvertrauen, sollen ihre Meinung sagen, ernst genommen werden und an Entscheidungen beteiligt werden. Damit Partizipation auch im Rahmen des Rechte- und Schutzkonzeptes gelebt wird, sollten Kinder und Jugendliche von Anfang an in den Prozess mit einbezogen werden, denn sie sind ja die primäre Zielgruppe. Zum Beispiel kann mit Kindern und Jugendlichen eine Vereinbarung zur Mediennutzung oder eine für alle geltende Netikette zu ihrem Selbstschutz getroffen werden. Hier bietet es sich an, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen mit einzubeziehen, nicht zuletzt, weil sie selbst Expert*innen sind. Aber: Die Verantwortung für die Prävention verbleibt immer bei den Erwachsenen! 
  3. In Form von Beschwerdeverfahren: Kinder und Jugendliche sollen dazu ermutigt werden, ihre Anliegen selbst zu vertreten. Dabei helfen ein wertschätzendes, faires Miteinander, ein konstruktiver Umgang mit Konflikten und geregelte Abläufe.

      Es gilt, die Rechte auf Befähigung und Partizipation, auf Information und auf Schutz miteinander zu vereinbaren. Das sind entscheidende Bestandteile einer präventiven Grundhaltung, die alle Beteiligten, allen voran die Kinder und Jugendlichen, verinnerlichen sollten.

      Inhalte der entsprechenden Präventionsgrundsätze, die mit den Kindern und Jugendlichen partizipativ erarbeitet werden sollten, sind beispielsweise:[1]

      • ein grenzwahrender Umgang miteinander
      • eine „beschwerdefreundliche Haltung“
      • der reflektierte Umgang mit Geschlechterrollen
      • der reflektierte Umgang mit digitalen Medien
      • die Berücksichtigung von Stärken und Schwächen junger Menschen im pädagogischen Alltag

      Zudem sollte mit Kindern und Jugendlichen altersangemessen darüber gesprochen werden, was sexualisierte Gewalt ist, wie Täter*innen vorgehen, wie sie sich Hilfe holen können etc. Ein solches Informationsangebot sollte dabei keine Angst machen und nicht verunsichern, sondern Spaß bzw. Mut machen. Das geht, beispielsweise wenn es theaterpädagogisch aufgebaut ist, die Stärkung von Ressourcen in den Vordergrund stellt und sich an bestimmten Qualitätskriterien orientiert.[2] Entsprechende Empfehlungen finden Sie am Ende dieses Bausteins unter Literatur.

      Hinsichtlich digitaler Aspekte sollten die Kinder und Jugendlichen außerdem konkret vertraut sein mit Einstellungen der Privatsphäre, Blockierfunktionen, Meldestellen etc. Zudem kann auch der Umgang mit Pornografie im Netz ein Thema sein u.ä.

      [1] Vgl. Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021, S. 33 ff.

      [2] Vgl. dazu DGfPI (Hrsg.): Qualitätskriterien für die Prävention sexualisierter Gewalt gegen Jungen und Mädchen. Düsseldorf 2020.

      Beschwerdemöglichkeiten und Feedbackkultur

      Ein Beschwerdeverfahren regelt die Art und Weise des Umganges mit Beschwerden von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeitenden in der Organisation und schafft so klare und sichere Arbeitsstrukturen. Es beinhaltet einen konsequenten Ablaufplan für Beschwerden durch Kinder und Jugendliche, durch Mitarbeitende oder beispielsweise Eltern, sowie eine entsprechende Prüfung und Auswertung. Im Verfahren sollten Beschwerden von allen Seiten immer ernst genommen werden; sie können auch Hinweise auf Gefährdungslagen sein. Eine offene und konstruktive Kultur im Umgang mit Fehlern und Feedback ist dabei hilfreich; nach dem Motto: „Beschweren erwünscht!“ und: „Bescheid sagen ist nicht Petzen!“.

      Auch digital sollten eindeutige Beschwerde- und Meldemöglichkeiten vorhanden sein. Hier kann auch eine Peer-to-Peer-Beratung angeboten werden.

      Ein Beschwerdeverfahren sollte auf verschiedenen Ebenen angesiedelt werden. Wichtig ist ein niederschwelliges Angebot von Möglichkeiten zur Beschwerde, das leicht erreichbar bzw. nutzbar ist und anonym verwendet werden kann. Die Beschwerdewege müssen veröffentlicht und bekannt sein. Dazu gehört in jedem Fall auch, dass die Kinder und Jugendlichen öffentlich benannte Vertrauenspersonen haben, denen gegenüber sie sich öffnen können. Organisationen können auch externe Ombudsstellen einrichten.

      Um wirksame Verfahren zu implementieren, können folgende Fragen helfen:[1]

      1. Wer darf sich beschweren?
      2. Was ist eine Beschwerde? / Worüber darf man sich beschweren?
      3. Wie und bei wem kann man sich beschweren?
      4. Was passiert, wenn ich mich beschwere?

      Beschwerden dürfen nicht ins Leere laufen, sie brauchen immer eine Rückmeldung.

      [1] Quelle: Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021. S. 31.

      Literatur- und Materialempfehlungen

      BMFSFJ und BzgA (Initiatoren): Trau dich! Bundesweite Initiative zur Prävention sexualisierter Gewalt mit Theaterstück.

      DGfPI (Hrsg.): Qualitätskriterien für die Prävention sexualisierter Gewalt gegen Jungen und Mädchen. Düsseldorf 2020.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.

      Theaterpädagogische Werkstatt Osnabrück (tpw): Mein Körper gehört mir! / Die große Nein-Tonne.

      Technischer Kinderschutz


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      Baustein 4: Prävention – Mitarbeitende


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      Mitarbeitende

      Alle Mitarbeitenden sind mitverantwortlich für die Umsetzung des Rechte- und Schutzkonzeptes. Dies wird bereits im Vorstellungsgespräch und in Mitarbeitendengesprächen thematisiert. Sie sind sensibilisiert und geschult in den Grundlagen von sexueller Bildung und der Prävention sexualisierter Gewalt, haben eine Selbstverpflichtungserklärung bzw. einen Verhaltenskodex unterschrieben, kennen das Beschwerdeverfahren und den Handlungsleitfaden für den Fall einer Vermutung auf sexualisierte Gewalt und haben je nach Tätigkeit ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt.

      Das Nutzungsverhalten (potenzieller) Mitarbeitender von digitalen Medien sollte im Einstellungsgespräch ebenfalls thematisiert werden. Zudem kann es Bestandteil arbeitsvertraglicher Regelungen sein.

      Selbstverpflichtungserklärung

      Die Selbstverpflichtungserklärung dient allen Mitarbeitenden als Orientierungsrahmen und formuliert verbindliche Regeln für den grenzachtenden Umgang mit Kindern und Jugendlichen und untereinander. Hier sollte auch der Umgang mit sozialen Medien aufgegriffen werden. So umfasst etwa die Frage, ob Mitarbeitende privaten Umgang mit Kindern und Jugendlichen pflegen dürfen, auch die sozialen Medien.

      Mit der Unterzeichnung der Selbstverpflichtungserklärung bestätigen alle haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden die Beachtung und Einhaltung dieser Grundsätze. Dabei ist nicht alleine die Unterschrift, sondern das Gespräch einer Leitungsperson mit dem*der einzelnen Mitarbeitenden Bestandteil der präventiven Haltung.

      Erweitertes Führungszeugnis

      Das erweiterte Führungszeugnis (EFZ) ist eine Möglichkeit, um die  Eignung von Mitarbeitenden zu prüfen und sicherzustellen, dass niemand beschäftigt wird, der*die rechtskräftig wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (z. B. Besitz oder Verbreitung sogenannter „kinder- oder jugendpornografischer“ Schriften oder sexueller Nötigung und Vergewaltigung) verurteilt worden ist.

      Für beruflich Mitarbeitende besteht die Pflicht, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, seit der Installation des Bundeskinderschutzgesetzes 2012 durch die Regelung im SGB VIII (§ 72a). Bei ehrenamtlichen Mitarbeitenden, Praktikant*innen und Honorarkräften sollte überlegt werden, für welche Tätigkeiten die Einsichtnahme in ein erweitertes Führungszeugnis erforderlich ist. Hierbei spielen die Art, Intensität und Dauer des Kontakts zu Kindern und Jugendlichen eine entscheidende Rolle.

      Fortbildung für alle Mitarbeiter*innen

      Prävention heißt auch Fortbildung: Angemessenes Handeln setzt Wissen voraus. Deswegen werden alle haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Organisation, die Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben, in den Grundlagen von sexueller Bildung, der Prävention sexualisierter Gewalt und zu Handlungsleitfäden geschult. Diese Schulungen sind ein zentraler Baustein des Rechte- und Schutzkonzeptes und dienen nicht nur zur Vermittlung von grundlegenden Informationen zur Entwicklung oder zu Bestandteilen von Rechte- und Schutzkonzepten, sondern auch zur Etablierung einer gemeinsamen Haltung. Welchen zeitlichen Umfang die Präventionsschulungen für Mitarbeitende haben, hängt von der Intensität des Kontakts ab, den sie zu Kindern und Jugendlichen pflegen.

      Ziele aller Schulungs- und Fortbildungsangebote zum Thema sexualisierte Gewalt sind eine grundlegende Sensibilisierung für das Thema, die Fähigkeit, mögliche Gefährdungen zu erkennen, und das Gewinnen von Handlungssicherheit im Vermutungsfall.

      Regelmäßige Fortbildungen sollten Mitarbeitende auch über allgemeine und spezifische Risiken digitaler Medien und über entsprechende Ansätze zur Prävention und Intervention auf dem Laufenden halten. Die Themen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sollen reflektiert werden: Hier geht es einerseits um eine Sensibilisierung im Team, die Kenntnis und Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung, kindersichere Einstellung von digitalen Geräten etc. Andererseits geht es auch um eine Sensibilisierung der Kinder und Jugendlichen für Schutz, Persönlichkeitsrechte und weitere rechtliche Aspekte im digitalen Bereich. Die bereits beschriebene Kultur der Achtsamkeit und des grenzwahrenden Umgangs miteinander ist natürlich auch hier essenziell.

      Vernetzen Sie sich. Stellen Sie sicher, dass die Fachberatungsstelle, mit der Sie eine Kooperation eingehen wollen, auch im Bereich der sexualisierten Gewalt im digitalen Raum inhaltlich kompetent ist. Andernfalls können Sie medienpädagogische Fachkräfte einbinden. 

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Evangelische Kirche im Rheinland (Hrsg.): Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Düsseldorf 2021.

      LWL-Landesjugendämter (Hrsg.): Aufsichtsrechtliche Grundlagen – Organisationale Schutzkonzepte in betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche nach § 45 SGB VIII. Köln/Münster 2021.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.


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      Baustein 8: Aufarbeitung


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      Kommt es innerhalb einer Organisation zu Fällen von sexualisierter Gewalt, können sowohl der pädagogische Alltag als auch die Beteiligten langfristig Schaden erleiden. Darum ist es wichtig, ein Vorgehen zu entwickeln, das fachliches Handeln in der Fallbearbeitung reflektiert und persönliche Belastungen der Beteiligten bearbeitet. Ein Konzept zur Aufarbeitung von vergangenen Fällen sexualisierter Gewalt trägt dazu bei, dass sich eine fehlerfreundliche und lernende Organisation entwickelt. Die Leitfrage von Aufarbeitungsprozessen ist daher: Was können wir aus dem Geschehenen für unsere zukünftige Praxis lernen?

      Bei Aufarbeitungsprozessen von Fällen sexualisierter Gewalt unterscheiden wir zwischen persönlicher und organisationaler Aufarbeitung.

      Persönliche Aufarbeitung

      Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sind nicht nur für Betroffene mit psychisch-emotionalen Belastungen verbunden, sondern möglicherweise auch für Personen, die an der Intervention und Gewaltbearbeitung beteiligt sind. Neben der Versorgung von direkt und indirekt betroffenen Kindern und Jugendlichen spielt somit auch die Nachsorge mit Blick auf die erwachsenen Beteiligten eine wichtige Rolle.

      Bei der persönlichen Aufarbeitung geht es darum, Beteiligte dabei zu unterstützen, das Erlebte zu verarbeiten. Bleiben Belastungen und negative Eindrücke zurück, besteht das Risiko, dass zukünftig Fälle von sexualisierter Gewalt nicht fachlich angemessen bearbeitet werden können. Für das Team geht es um die Überwindung des Schock-Zustandes, der häufig aus Fällen sexualisierter Gewalt resultiert, und eine Rückkehr in den Alltag der pädagogischen Praxis. Zudem soll langfristigen psychischen Belastungen oder Erkrankungen vorgebeugt werden. Daher ist es wichtig, diesem Prozess ausreichend Zeit und Ressourcen einzuräumen.

      Im Rahmen von Inter- oder Supervision durch externe Personen bietet es sich an im Team / mit den Beteiligten über den Fall und dessen Bearbeitung zu sprechen:

      • Wie erging es euch bei der Fallbearbeitung (z.B. in Gesprächssituationen mit Betroffenen)?
      • Welche Gedanken, Ängste und Sorgen verbindet ihr mit dem Fall (z.B. eigene Schuld- und Schamgefühle)?
      • Gab es Momente der Überforderung? Was hat euch geholfen?

      Es ist möglich, dass der beschriebene Aufarbeitungsprozess für einzelne Beteiligte nicht ausreichend ist, um emotionale Belastungen zu bearbeiten. Auch bei helfenden Personen können sich Traumata ausbilden. Hierbei empfiehlt es sich Personen an externe, professionelle Hilfestellen anzubinden. Die Organisation kann dabei unterstützen, indem sie Einzelsupervision bereitstellt oder therapeutische Begleitung finanziell unterstützt. 

      Für die fachliche Aufarbeitung des Falls in der Organisation ist die Bearbeitung der psychisch-emotionalen Belastungen eine wichtige Voraussetzung.

      Organisationale Aufarbeitung

      Bei der organisationalen Aufarbeitung geht es um eine systematische Analyse der Fälle von sexualisierten Gewaltdynamiken sowie um die kritische Reflexion von institutionellen Kommunikations- und Handlungsabläufen. An dieser Stelle soll im Besonderen noch einmal auf die Bedeutung der Beteiligung von Betroffenenperspektiven im Zusammenhang mit Aufarbeitungsprozessen hingewiesen werden (weitere Informationen finden Sie hier: Stellungnahme der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauchs zur Beteiligung Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs in Aufarbeitungsprozessen).

      Leitfragen sind dabei:

      • Wie ist es zu den sexualisierten Gewaltdynamiken innerhalb unserer Strukturen gekommen? Welche Gegebenheiten haben es ggf. ermöglicht, dass Täter*innen bei uns andocken konnten?
      • Welche Strukturen haben dazu geführt, dass der Fall bekannt werden konnte?
      • Welche Erkenntnisse liefert uns der Fall für unsere Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt insgesamt? An welchen Stellen zeigt uns der Fall „blinde Flecken“ auf?

      Dieser Schritt ist in erster Linie eine kritische Betrachtung der eigenen Strukturen sowie des eigenen Vorgehens im Rahmen der Intervention. Der Fokus liegt auf der Identifizierung von organisationalen Lücken und Fehlerquellen in der Fallbearbeitung. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Erkenntnisse für die zukünftige Ausgestaltung des Rechte- und Schutzkonzeptes. Daher ist es wichtig, den Prozess der Aufarbeitung fehlerfreundlich und zukunftsorientiert zu gestalten („Was lernen wir als Organisation aus dem Fall?“). Die Ergebnisse der Aufarbeitung fließen anschließend in die Weiterentwicklung des Rechte- und Schutzkonzeptes ein: 

      • Führen die Resultate zu einer Neubewertung im Rahmen der Risiko- und Potentialanalyse?
      • Welche Anpassungen in einzelnen Schutzmaßnahmen (z.B. in Verhaltensleitlinien, Beteiligungs- und Beschwerdemanagement oder Interventionsleitfaden) tragen möglicherweise dazu bei, dass Fälle zukünftig besser (im Sinne des Schutzes von Kindern und Jugendlichen) bearbeitet werden können?
      • Was wird darüber hinaus gebraucht, um Fällen von sexualisierter Gewalt besser vorbeugen zu können?

      Das Resultat der organisationalen Aufarbeitung ist eine bewusste Entscheidung zur Veränderung von bestehenden Schutzbemühungen. Eine externe Unterstützung ist für den gesamten Prozess eine Gelingensbedingung.

      Hinweis

      In diesem Baustein wurden vornehmlich der Prozess einer institutionellen Aufarbeitung eines Falles von sexualisierter Gewalt und dessen Bedeutung im Schutzprozess beschrieben. Unter dem Begriff „Aufarbeitung“ wird ebenso die historische Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der Gesellschaft beziehungsweise in gesellschaftlichen Teilbereichen (wie z.B. in Kirchen oder reformpädagogischen Zusammenhängen) verstanden. Dabei spielen juristische sowie sozialwissenschaftliche Aspekte eine Rolle (z.B.: Welches Ausmaß an Täter*innen und Betroffenen liegt vor? Welche Bedingungen haben systematische Gewaltausübung ermöglicht?). Vertiefend empfehlen wir an dieser Stelle die Arbeit der „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauchs“: https://www.aufarbeitungskommission.de/

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Beltz: Weinheim 2018.


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