Baustein 5: Prävention – Umgang mit Kindern und Jugendlichen


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Präventionsangebote und Partizipation 

Entscheidender Baustein von Schutzkonzepten ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in vielen Bereichen.

  1. In Form von alters- und bedarfsgerechter Information und Aufklärung: Kinder und Jugendliche haben Rechte und sollen das auch wissen. Wissen ist Macht. Und der Präventionsgrundsatz „Nur wer Bescheid weiß, kann auch Bescheid sagen“ muss hier Berücksichtigung finden.
  2. In Form von Beteiligung und Partizipation: Kinder und Jugendliche brauchen Selbstvertrauen, sollen ihre Meinung sagen, ernst genommen werden und an Entscheidungen beteiligt werden. Damit Partizipation auch im Rahmen des Rechte- und Schutzkonzeptes gelebt wird, sollten Kinder und Jugendliche von Anfang an in den Prozess mit einbezogen werden, denn sie sind ja die primäre Zielgruppe. Zum Beispiel kann mit Kindern und Jugendlichen eine Vereinbarung zur Mediennutzung oder eine für alle geltende Netikette zu ihrem Selbstschutz getroffen werden. Hier bietet es sich an, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen mit einzubeziehen, nicht zuletzt, weil sie selbst Expert*innen sind. Aber: Die Verantwortung für die Prävention verbleibt immer bei den Erwachsenen! 
  3. In Form von Beschwerdeverfahren: Kinder und Jugendliche sollen dazu ermutigt werden, ihre Anliegen selbst zu vertreten. Dabei helfen ein wertschätzendes, faires Miteinander, ein konstruktiver Umgang mit Konflikten und geregelte Abläufe.

      Es gilt, die Rechte auf Befähigung und Partizipation, auf Information und auf Schutz miteinander zu vereinbaren. Das sind entscheidende Bestandteile einer präventiven Grundhaltung, die alle Beteiligten, allen voran die Kinder und Jugendlichen, verinnerlichen sollten.

      Inhalte der entsprechenden Präventionsgrundsätze, die mit den Kindern und Jugendlichen partizipativ erarbeitet werden sollten, sind beispielsweise:[1]

      • ein grenzwahrender Umgang miteinander
      • eine „beschwerdefreundliche Haltung“
      • der reflektierte Umgang mit Geschlechterrollen
      • der reflektierte Umgang mit digitalen Medien
      • die Berücksichtigung von Stärken und Schwächen junger Menschen im pädagogischen Alltag

      Zudem sollte mit Kindern und Jugendlichen altersangemessen darüber gesprochen werden, was sexualisierte Gewalt ist, wie Täter*innen vorgehen, wie sie sich Hilfe holen können etc. Ein solches Informationsangebot sollte dabei keine Angst machen und nicht verunsichern, sondern Spaß bzw. Mut machen. Das geht, beispielsweise wenn es theaterpädagogisch aufgebaut ist, die Stärkung von Ressourcen in den Vordergrund stellt und sich an bestimmten Qualitätskriterien orientiert.[2] Entsprechende Empfehlungen finden Sie am Ende dieses Bausteins unter Literatur.

      Hinsichtlich digitaler Aspekte sollten die Kinder und Jugendlichen außerdem konkret vertraut sein mit Einstellungen der Privatsphäre, Blockierfunktionen, Meldestellen etc. Zudem kann auch der Umgang mit Pornografie im Netz ein Thema sein u.ä.

      [1] Vgl. Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021, S. 33 ff.

      [2] Vgl. dazu DGfPI (Hrsg.): Qualitätskriterien für die Prävention sexualisierter Gewalt gegen Jungen und Mädchen. Düsseldorf 2020.

      Beschwerdemöglichkeiten und Feedbackkultur

      Ein Beschwerdeverfahren regelt die Art und Weise des Umganges mit Beschwerden von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeitenden in der Organisation und schafft so klare und sichere Arbeitsstrukturen. Es beinhaltet einen konsequenten Ablaufplan für Beschwerden durch Kinder und Jugendliche, durch Mitarbeitende oder beispielsweise Eltern, sowie eine entsprechende Prüfung und Auswertung. Im Verfahren sollten Beschwerden von allen Seiten immer ernst genommen werden; sie können auch Hinweise auf Gefährdungslagen sein. Eine offene und konstruktive Kultur im Umgang mit Fehlern und Feedback ist dabei hilfreich; nach dem Motto: „Beschweren erwünscht!“ und: „Bescheid sagen ist nicht Petzen!“.

      Auch digital sollten eindeutige Beschwerde- und Meldemöglichkeiten vorhanden sein. Hier kann auch eine Peer-to-Peer-Beratung angeboten werden.

      Ein Beschwerdeverfahren sollte auf verschiedenen Ebenen angesiedelt werden. Wichtig ist ein niederschwelliges Angebot von Möglichkeiten zur Beschwerde, das leicht erreichbar bzw. nutzbar ist und anonym verwendet werden kann. Die Beschwerdewege müssen veröffentlicht und bekannt sein. Dazu gehört in jedem Fall auch, dass die Kinder und Jugendlichen öffentlich benannte Vertrauenspersonen haben, denen gegenüber sie sich öffnen können. Organisationen können auch externe Ombudsstellen einrichten.

      Um wirksame Verfahren zu implementieren, können folgende Fragen helfen:[1]

      1. Wer darf sich beschweren?
      2. Was ist eine Beschwerde? / Worüber darf man sich beschweren?
      3. Wie und bei wem kann man sich beschweren?
      4. Was passiert, wenn ich mich beschwere?

      Beschwerden dürfen nicht ins Leere laufen, sie brauchen immer eine Rückmeldung.

      [1] Quelle: Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021. S. 31.

      Literatur- und Materialempfehlungen

      BMFSFJ und BzgA (Initiatoren): Trau dich! Bundesweite Initiative zur Prävention sexualisierter Gewalt mit Theaterstück.

      DGfPI (Hrsg.): Qualitätskriterien für die Prävention sexualisierter Gewalt gegen Jungen und Mädchen. Düsseldorf 2020.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.

      Theaterpädagogische Werkstatt Osnabrück (tpw): Mein Körper gehört mir! / Die große Nein-Tonne.

      Technischer Kinderschutz


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      Baustein 4: Prävention – Mitarbeitende


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      Mitarbeitende

      Alle Mitarbeitenden sind mitverantwortlich für die Umsetzung des Rechte- und Schutzkonzeptes. Dies wird bereits im Vorstellungsgespräch und in Mitarbeitendengesprächen thematisiert. Sie sind sensibilisiert und geschult in den Grundlagen von sexueller Bildung und der Prävention sexualisierter Gewalt, haben eine Selbstverpflichtungserklärung bzw. einen Verhaltenskodex unterschrieben, kennen das Beschwerdeverfahren und den Handlungsleitfaden für den Fall einer Vermutung auf sexualisierte Gewalt und haben je nach Tätigkeit ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt.

      Das Nutzungsverhalten (potenzieller) Mitarbeitender von digitalen Medien sollte im Einstellungsgespräch ebenfalls thematisiert werden. Zudem kann es Bestandteil arbeitsvertraglicher Regelungen sein.

      Selbstverpflichtungserklärung

      Die Selbstverpflichtungserklärung dient allen Mitarbeitenden als Orientierungsrahmen und formuliert verbindliche Regeln für den grenzachtenden Umgang mit Kindern und Jugendlichen und untereinander. Hier sollte auch der Umgang mit sozialen Medien aufgegriffen werden. So umfasst etwa die Frage, ob Mitarbeitende privaten Umgang mit Kindern und Jugendlichen pflegen dürfen, auch die sozialen Medien.

      Mit der Unterzeichnung der Selbstverpflichtungserklärung bestätigen alle haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden die Beachtung und Einhaltung dieser Grundsätze. Dabei ist nicht alleine die Unterschrift, sondern das Gespräch einer Leitungsperson mit dem*der einzelnen Mitarbeitenden Bestandteil der präventiven Haltung.

      Erweitertes Führungszeugnis

      Das erweiterte Führungszeugnis (EFZ) ist eine Möglichkeit, um die  Eignung von Mitarbeitenden zu prüfen und sicherzustellen, dass niemand beschäftigt wird, der*die rechtskräftig wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (z. B. Besitz oder Verbreitung sogenannter „kinder- oder jugendpornografischer“ Schriften oder sexueller Nötigung und Vergewaltigung) verurteilt worden ist.

      Für beruflich Mitarbeitende besteht die Pflicht, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, seit der Installation des Bundeskinderschutzgesetzes 2012 durch die Regelung im SGB VIII (§ 72a). Bei ehrenamtlichen Mitarbeitenden, Praktikant*innen und Honorarkräften sollte überlegt werden, für welche Tätigkeiten die Einsichtnahme in ein erweitertes Führungszeugnis erforderlich ist. Hierbei spielen die Art, Intensität und Dauer des Kontakts zu Kindern und Jugendlichen eine entscheidende Rolle.

      Fortbildung für alle Mitarbeiter*innen

      Prävention heißt auch Fortbildung: Angemessenes Handeln setzt Wissen voraus. Deswegen werden alle haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Organisation, die Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben, in den Grundlagen von sexueller Bildung, der Prävention sexualisierter Gewalt und zu Handlungsleitfäden geschult. Diese Schulungen sind ein zentraler Baustein des Rechte- und Schutzkonzeptes und dienen nicht nur zur Vermittlung von grundlegenden Informationen zur Entwicklung oder zu Bestandteilen von Rechte- und Schutzkonzepten, sondern auch zur Etablierung einer gemeinsamen Haltung. Welchen zeitlichen Umfang die Präventionsschulungen für Mitarbeitende haben, hängt von der Intensität des Kontakts ab, den sie zu Kindern und Jugendlichen pflegen.

      Ziele aller Schulungs- und Fortbildungsangebote zum Thema sexualisierte Gewalt sind eine grundlegende Sensibilisierung für das Thema, die Fähigkeit, mögliche Gefährdungen zu erkennen, und das Gewinnen von Handlungssicherheit im Vermutungsfall.

      Regelmäßige Fortbildungen sollten Mitarbeitende auch über allgemeine und spezifische Risiken digitaler Medien und über entsprechende Ansätze zur Prävention und Intervention auf dem Laufenden halten. Die Themen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sollen reflektiert werden: Hier geht es einerseits um eine Sensibilisierung im Team, die Kenntnis und Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung, kindersichere Einstellung von digitalen Geräten etc. Andererseits geht es auch um eine Sensibilisierung der Kinder und Jugendlichen für Schutz, Persönlichkeitsrechte und weitere rechtliche Aspekte im digitalen Bereich. Die bereits beschriebene Kultur der Achtsamkeit und des grenzwahrenden Umgangs miteinander ist natürlich auch hier essenziell.

      Vernetzen Sie sich. Stellen Sie sicher, dass die Fachberatungsstelle, mit der Sie eine Kooperation eingehen wollen, auch im Bereich der sexualisierten Gewalt im digitalen Raum inhaltlich kompetent ist. Andernfalls können Sie medienpädagogische Fachkräfte einbinden. 

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Evangelische Kirche im Rheinland (Hrsg.): Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Düsseldorf 2021.

      LWL-Landesjugendämter (Hrsg.): Aufsichtsrechtliche Grundlagen – Organisationale Schutzkonzepte in betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche nach § 45 SGB VIII. Köln/Münster 2021.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.


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      Baustein 8: Aufarbeitung


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      Kommt es innerhalb einer Organisation zu Fällen von sexualisierter Gewalt, können sowohl der pädagogische Alltag als auch die Beteiligten langfristig Schaden erleiden. Darum ist es wichtig, ein Vorgehen zu entwickeln, das fachliches Handeln in der Fallbearbeitung reflektiert und persönliche Belastungen der Beteiligten bearbeitet. Ein Konzept zur Aufarbeitung von vergangenen Fällen sexualisierter Gewalt trägt dazu bei, dass sich eine fehlerfreundliche und lernende Organisation entwickelt. Die Leitfrage von Aufarbeitungsprozessen ist daher: Was können wir aus dem Geschehenen für unsere zukünftige Praxis lernen?

      Bei Aufarbeitungsprozessen von Fällen sexualisierter Gewalt unterscheiden wir zwischen persönlicher und organisationaler Aufarbeitung.

      Persönliche Aufarbeitung

      Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sind nicht nur für Betroffene mit psychisch-emotionalen Belastungen verbunden, sondern möglicherweise auch für Personen, die an der Intervention und Gewaltbearbeitung beteiligt sind. Neben der Versorgung von direkt und indirekt betroffenen Kindern und Jugendlichen spielt somit auch die Nachsorge mit Blick auf die erwachsenen Beteiligten eine wichtige Rolle.

      Bei der persönlichen Aufarbeitung geht es darum, Beteiligte dabei zu unterstützen, das Erlebte zu verarbeiten. Bleiben Belastungen und negative Eindrücke zurück, besteht das Risiko, dass zukünftig Fälle von sexualisierter Gewalt nicht fachlich angemessen bearbeitet werden können. Für das Team geht es um die Überwindung des Schock-Zustandes, der häufig aus Fällen sexualisierter Gewalt resultiert, und eine Rückkehr in den Alltag der pädagogischen Praxis. Zudem soll langfristigen psychischen Belastungen oder Erkrankungen vorgebeugt werden. Daher ist es wichtig, diesem Prozess ausreichend Zeit und Ressourcen einzuräumen.

      Im Rahmen von Inter- oder Supervision durch externe Personen bietet es sich an im Team / mit den Beteiligten über den Fall und dessen Bearbeitung zu sprechen:

      • Wie erging es euch bei der Fallbearbeitung (z.B. in Gesprächssituationen mit Betroffenen)?
      • Welche Gedanken, Ängste und Sorgen verbindet ihr mit dem Fall (z.B. eigene Schuld- und Schamgefühle)?
      • Gab es Momente der Überforderung? Was hat euch geholfen?

      Es ist möglich, dass der beschriebene Aufarbeitungsprozess für einzelne Beteiligte nicht ausreichend ist, um emotionale Belastungen zu bearbeiten. Auch bei helfenden Personen können sich Traumata ausbilden. Hierbei empfiehlt es sich Personen an externe, professionelle Hilfestellen anzubinden. Die Organisation kann dabei unterstützen, indem sie Einzelsupervision bereitstellt oder therapeutische Begleitung finanziell unterstützt. 

      Für die fachliche Aufarbeitung des Falls in der Organisation ist die Bearbeitung der psychisch-emotionalen Belastungen eine wichtige Voraussetzung.

      Organisationale Aufarbeitung

      Bei der organisationalen Aufarbeitung geht es um eine systematische Analyse der Fälle von sexualisierten Gewaltdynamiken sowie um die kritische Reflexion von institutionellen Kommunikations- und Handlungsabläufen. An dieser Stelle soll im Besonderen noch einmal auf die Bedeutung der Beteiligung von Betroffenenperspektiven im Zusammenhang mit Aufarbeitungsprozessen hingewiesen werden (weitere Informationen finden Sie hier: Stellungnahme der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauchs zur Beteiligung Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs in Aufarbeitungsprozessen).

      Leitfragen sind dabei:

      • Wie ist es zu den sexualisierten Gewaltdynamiken innerhalb unserer Strukturen gekommen? Welche Gegebenheiten haben es ggf. ermöglicht, dass Täter*innen bei uns andocken konnten?
      • Welche Strukturen haben dazu geführt, dass der Fall bekannt werden konnte?
      • Welche Erkenntnisse liefert uns der Fall für unsere Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt insgesamt? An welchen Stellen zeigt uns der Fall „blinde Flecken“ auf?

      Dieser Schritt ist in erster Linie eine kritische Betrachtung der eigenen Strukturen sowie des eigenen Vorgehens im Rahmen der Intervention. Der Fokus liegt auf der Identifizierung von organisationalen Lücken und Fehlerquellen in der Fallbearbeitung. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Erkenntnisse für die zukünftige Ausgestaltung des Rechte- und Schutzkonzeptes. Daher ist es wichtig, den Prozess der Aufarbeitung fehlerfreundlich und zukunftsorientiert zu gestalten („Was lernen wir als Organisation aus dem Fall?“). Die Ergebnisse der Aufarbeitung fließen anschließend in die Weiterentwicklung des Rechte- und Schutzkonzeptes ein: 

      • Führen die Resultate zu einer Neubewertung im Rahmen der Risiko- und Potentialanalyse?
      • Welche Anpassungen in einzelnen Schutzmaßnahmen (z.B. in Verhaltensleitlinien, Beteiligungs- und Beschwerdemanagement oder Interventionsleitfaden) tragen möglicherweise dazu bei, dass Fälle zukünftig besser (im Sinne des Schutzes von Kindern und Jugendlichen) bearbeitet werden können?
      • Was wird darüber hinaus gebraucht, um Fällen von sexualisierter Gewalt besser vorbeugen zu können?

      Das Resultat der organisationalen Aufarbeitung ist eine bewusste Entscheidung zur Veränderung von bestehenden Schutzbemühungen. Eine externe Unterstützung ist für den gesamten Prozess eine Gelingensbedingung.

      Hinweis

      In diesem Baustein wurden vornehmlich der Prozess einer institutionellen Aufarbeitung eines Falles von sexualisierter Gewalt und dessen Bedeutung im Schutzprozess beschrieben. Unter dem Begriff „Aufarbeitung“ wird ebenso die historische Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der Gesellschaft beziehungsweise in gesellschaftlichen Teilbereichen (wie z.B. in Kirchen oder reformpädagogischen Zusammenhängen) verstanden. Dabei spielen juristische sowie sozialwissenschaftliche Aspekte eine Rolle (z.B.: Welches Ausmaß an Täter*innen und Betroffenen liegt vor? Welche Bedingungen haben systematische Gewaltausübung ermöglicht?). Vertiefend empfehlen wir an dieser Stelle die Arbeit der „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung Sexuellen Kindesmissbrauchs“: https://www.aufarbeitungskommission.de/

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Beltz: Weinheim 2018.


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      Baustein 7: Intervention


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      Die Definition von Verantwortlichkeiten und Verfahrensabläufen beim Einschreiten in sexualisierte Gewaltdynamiken ist ein unerlässlicher Bestandteil innerhalb des Rechte- und Schutzkonzeptes. Die Momente, in denen Verantwortliche Anhaltspunkte auf sexualisierte Gewalt erhalten, sind häufig geprägt von starken Emotionen wie Unsicherheit und Angst. Der Handlungsdruck ist mitunter enorm und erzeugt zusätzlichen Stress. Damit intervenierender Schutz vor sexualisierter Gewalt gelingen kann, sind daher strukturierte und konkrete Verfahrensschritte erforderlich. Klar und transparent definierte Abläufe erzeugen bei den Verantwortlichen Handlungssicherheit.

      Werden die Verantwortlichen mit einem Anfangsverdacht auf sexualisierte Gewaltdynamiken konfrontiert, muss zunächst eine Einschätzung der Gesamtsituation/Abklärung einer Vermutung erfolgen. Erst danach werden konkrete Interventionsschritte eingeleitet. Die Einschätzung erfolgt unter dem „4- bis 6-Augen-Prinzip“, unter Hinzunahme der Leitungsebene und der fachlichen Expertise einer spezialisierten Fachberatungsstelle. Für das weitere Verfahren ist es unerlässlich, den Schritt der Verdachtsabklärung zu dokumentieren.

      Zum Risikomanagement bei Kindeswohlgefährdung und zu Gelingensfaktoren bei der Wahrnehmung des Schutzauftrages finden Sie u. a. hier ab S. 8 und hier ab S. 18 weitere Informationen.

      Erhärtet sich eine Vermutung auf sexualisierte Gewaltdynamiken, werden Eingriffe in dieselben notwendig. Die obersten Leitprinzipien sind dabei die Herstellung des Schutzes der Betroffenen sowie die Wahrung des Kindeswohls. Daran orientiert, leiten sich einzelne Interventionsschritte ab, die jedoch stets fallabhängig und daher höchst individuell sind.

      Der Moment einer Intervention ist sehr sensibel. Damit die Handlungsfähigkeit in dieser Ausnahmesituation sichergestellt ist, gelten folgende Grundsätze:

      • Bedacht handeln! Zwar handelt es sich um eine Stresssituation, ein unüberlegtes und überstürztes Handeln muss jedoch vermieden werden.
      • Niemand schaut weg! Der Prozess muss jedoch unabhängig von eigenen Zweifeln und Unsicherheiten darauf ausgelegt sein, dass Anhaltspunkte grundsätzlich ernstgenommen und konsequent bearbeitet werden.
      • Verantwortung übernehmen! Intervention ist keine Aufgabe, die von einer Einzelperson übernommen wird. Bei der Interventionsplanung ist es notwendig, alle handelnden Personen gemäß ihrer Rolle und Funktion innerhalb der Institution miteinzubeziehen.

      Für ein Rechte- und Schutzkonzept müssen daher verbindliche Verfahrensstandards im Umgang mit Vermutungen und für die Einleitung von Intervention entwickelt werden. So wirkt die Organisation einerseits „blindem Aktionismus“ und Überreaktionen entgegen und etabliert andererseits ein transparentes und faires Verfahren. Als konkreter Konzeptbaustein bietet sich ein Interventionsleitfaden an.

      Der Interventionsleitfaden

      Damit Mitarbeitende und ehrenamtlich Tätige in Ihrer Organisation wissen, was im Falle einer (vermuteten) Gefährdung eines jungen Menschen zu tun ist, braucht die Organisation einen Plan, in dem konkrete Handlungsschritte chronologisch festgelegt sind: vom Abklären der Vermutung bis hin zur Einleitung von tatsächlichen Interventionen. Im Interventionsleitfaden sind daher möglichst detailliert und übersichtlich alle Verfahrensschritte dargestellt, wie Verdachtsmomente abgeklärt werden und welche Interventionen im Krisenfall einzuleiten sind.

      Ebenfalls benennt der Interventionsleitfaden alle Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Jede involvierte Person muss wissen, was ihre Rolle und Funktion im Interventionsprozess ist. Jede Organisation und Einrichtung sollte daher auch einen individuellen Interventionsleitfaden haben, der die institutionellen Eigen- und Besonderheiten berücksichtigt. 

      Für die Einleitung von Intervention ist es grundsätzlich empfehlenswert, zwischen drei unterschiedlichen Fallkonstellationen zu differenzieren. Im Folgenden sind unter jeder Fallkonstellation mögliche Schritte benannt, die bei einer Intervention mitgedacht und daher im Interventionsleitfaden berücksichtigt werden.

      1. Erhärtete/begründete Vermutung auf sexualisierte Gewalt ausgehend von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden innerhalb der Organisation

      • Ein Interventionsteam wird gebildet.
      • Der Schutz von Betroffenen wird umgehend sichergestellt, die Personen unter Vermutung erhalten keine weiteren Kontaktmöglichkeiten (auch digitale Möglichkeiten mitdenken).
      • Trägerinterne Meldesysteme werden eingehalten.
      • Die Fürsorgepflicht besteht gegenüber der*dem potentiellen Täter*in weiterhin. Der Datenschutz wird gewahrt. Arbeitsrechtliche Schritte werden geprüft.
      • Gegebenenfalls werden Meldepflichten gegenüber Jugendämtern oder Aufsichtsbehörden eingehalten.
      • Die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden wird geprüft. Jedoch sollten Anzeigen bei der Polizei keinesfalls vorschnell getätigt werden, sondern immer unter Abwägung des Betroffenenwohls erfolgen.
      • Interne und externe Sprachregelungen werden gefunden und kommuniziert. Gegebenenfalls werden Presseerklärungsbausteine entwickelt.
      • Alle eingeleiteten Maßnahmen werden dokumentiert.

      Zur Meldepflicht nach §47 SGB VIII finden Sie hier weitere Informationen.

      2. Sexualisierte Übergriffe und Gewalthandlungen durch Kinder und Jugendliche innerhalb der Institution

      • Der Schutz der Betroffenen wird sichergestellt. Die Übergriffs- und Gewaltdynamiken werden durch die Verantwortlichen unterbunden.
      • Mit den Betroffenen und Übergriffigen werden jeweils getrennt voneinander Bedarfe erörtert.
      • Die übergriffigen Kinder/Jugendlichen erhalten (ohne Einbezug Betroffener) Gelegenheit, sich zur Situation zu äußern. Die pädagogischen Fachkräfte positionieren sich hierbei eindeutig gegen sexualisierte Übergriffe und Gewalt.
      • Eine gemeinsame Einschätzung im Team wird, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Betroffenen, vorgenommen.
      • Konsequenzen werden nicht von den Eltern, sondern vom Team erarbeitet und eingeleitet.
      • Die Informationen werden trägerintern weiterkommuniziert.
      • Gegebenenfalls werden Sorgeverantwortliche und Eltern informiert.

      Einen ausführlicheren Interventionsplan finden Sie in der u. g. Arbeitshilfe des Paritätischen Jugendwerks und des ISA auf S. 24f.

      3. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die außerhalb der Institution ausgeübt wird

      Sowohl zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos für die betroffenen Kinder und Jugendlichen als auch bei der Vorbereitung und Planung der Intervention ist eine gemeinsame Einschätzung aus fachlicher Sicht hilfreich. Es empfiehlt sich daher, eine spezialisierte Fachberatungsstelle (siehe psg.nrw/hilfe-finden/#Beratung) hinzuzunehmen, damit fachliche Expertise von außen im Interventionsprozess gesichert ist. Wichtig ist im intervenierenden Kinder- und Jugendschutz eine ausreichende (interdisziplinäre) Vernetzung, die nicht nur fallbezogen aktiviert, sondern kontinuierlich gepflegt wird.

      Für Schutzkonzepte ist es empfehlenswert, ein Schaubild oder Ablaufschema zu entwickeln. Die Darstellung eines Flussdiagrammes bietet sich dafür an. Wir haben dies  > hier beispielhaft für Fallkonstellation 1 dargestellt.


      Hinweis: Bitte bedenken Sie, dass es sich bei Interventionen in sexualisierte Gewaltdynamiken um komplexe und sensible Situationen handelt. Die Einleitung von Interventionsmaßnahmen bedarf einer guten Planung und genauen Abwägung, die an dieser Stelle nur stark verkürzt dargestellt werden konnte. In diesem Baustein haben wir vor allem fachliche Aspekte der Intervention vor dem Hintergrund der Implementierung in die Rechte- und Schutzkonzepte im Allgemeinen behandelt. Für Interventionsleitfäden, die Sie im Rahmen Ihrer einrichtungsbezogenen Schutzprozesse erarbeiten, empfehlen wir weiterführende Literatur zu nutzen. Untenstehend finden Sie Literaturtipps zu diesem Baustein.


      Exkurs: Sexuelle Übergriffe durch Kinder und Jugendliche 

      Sexuelle Übergriffe durch Gleichaltrige können überall stattfinden: z. B. im Freundeskreis, in Partnerschaften, in der Schule, im digitalen Raum und auch in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe.

      Voraussetzung für eine Einschätzung und passende pädagogische Intervention seitens der Mitarbeitenden ist die Unterscheidung in „altersangemessene sexuelle Aktivität“ und „sexueller Übergriff“.

      Um sexuelle Verhaltensweisen unter Gleichaltrigen einordnen zu können, müssen immer der Kontext, die Interaktionsdynamik und der Entwicklungsstand junger Menschen berücksichtigt werden. Zentrale Kriterien, die auf sexuelle Übergriffe hindeuten, sind Unfreiwilligkeit, Zwang und das Ausnutzen eines ungleichen Machtverhältnisses. Ein ungleiches Machtverhältnis kann unter anderem aufgrund von Altersunterschieden, körperlicher Kraft, Abhängigkeiten, kognitiver Entwicklung oder sozialem Status entstehen.

      Sexualisierte Übergriffe durch Gleichaltrige können auch im digitalen Raum stattfinden, wie z. B. nicht-einvernehmliches Verbreiten sexuell expliziter Bilder oder Videos.

      Weil das Erleben und Kennenlernen der eigenen Sexualität und das Austesten von Grenzen in der Phase des Heranwachsens zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben dazugehören kann, ist es für Jugendliche nicht immer einfach, die Grenzen klar zu kennen und dann auch zu kommunizieren. Die emotionalen Befindlichkeiten aller Beteiligten müssen im Blick behalten werden – die des*der betroffenen Kindes/Jugendlichen an erster Stelle, aber auch die des*der übergriffigen Kindes/Jugendlichen und der beteiligten Peers. Um handlungsfähig zu bleiben, sind ein sexualpädagogisches Konzept und die Verankerung des Themas sexuelle Bildung im Schutzkonzept hilfreich (siehe Baustein 6: Sexuelle Bildung).

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Allroggen, Marc:  Sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen. In: Fegert Jörg M. u.a.: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch. Heidelberg 2015.

      Amyna e.V. (Hrsg.): „War doch nur Spaß…?“ Sexuelle Übergriffe durch Jugendliche verhindern. München 2014.

      Bange, Dirk: Planung der Intervention nach Aufdeckung eines sexuellen Kindesmissbrauchsfalls. In: Fegert, Jörg M. u.a.: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch. Heidelberg 2015.

      Enders, Ursula: Umgang mit Vermutung und Verdacht bei sexuellem Kindesmissbrauch. In: Fegert, Jörg M. u.a.: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Ein Handbuch. Heidelberg 2015.

      Evangelische Kirche im Rheinland (Hrsg.): Schutzkonzepte Praktisch 2021. Ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Schutzkonzepten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Düsseldorf 2021.

      Landesstelle Jugendschutz Niedersachen (Hrsg.): Grenzgebiete – Sexuelle Übergriffe unter Jugendlichen. Eine Arbeitshilfe. Hannover 2017.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021.

      Winter, Veronika & Wolff, Mechthild: Interventionen. In: Fegert, Jörg u.a.: Schutz vor sexueller Gewalt und Übergriffen in Institutionen. Heidelberg 2018.


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      Baustein 1: Gemeinsame Haltungen finden


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      Rechte- und Schutzkonzepte sind recht umfassend und erfordern Ausdauer und Expertise. Es ist ein Prozess, der sich lange hinziehen und viel Geduld erfordern kann. Und dieser Prozess kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten einer Einrichtung – Leitung, Mitarbeitende, Kinder und Jugendliche – daran mitwirken, das Konzept mit Leben zu füllen.

      Dies können Einrichtungen nicht alleine leisten. Hier sind Menschen gefragt, die im Bereich der Sexuellen Bildung und Prävention von sexualisierter Gewalt versiert sind, die bei der Implementierung von Kinderschutzkonzepten mitwirken, Mut machen, Ausdauer und Haltung zeigen und vor allem auch mit Freude dabei sind.

      Vor der Erstellung eines Rechte- und Schutzkonzeptes

      Bevor Organisationen in den Entwicklungsprozess einsteigen,

      • muss es für die Mitarbeitenden eine Sensibilisierungsphase geben,
      • müssen sich die Mitarbeitenden Fachwissen zur Prävention sexualisierter Gewalt und zur sexuellen Entwicklung, insbesondere zu kindlicher Sexualität und Jugendsexualität, aneignen,
      • muss in den einzelnen Teams bzw. Gremien ein Diskurs über Sexualität, sexualisierte Gewalt, Machtstrukturen und gewaltförmige Praxen stattfinden,
      • müssen persönliche Haltungen zu Sexualität und Geschlechterrollen reflektiert werden,
      • müssen gemeinsame Positionen gefunden werden zum Umgang mit den Kindern, den Jugendlichen, den Eltern, den Mitarbeitenden und Kolleg*innen.

      Prinzipien

      Die folgenden Prinzipien (die „3 Ps“ der UN Kinderrechtskonvention) sollten in der Organisation immer beachtet werden:  

      Provision/Befähigung:

      Werden Kinder und Jugendliche gebildet (zum Beispiel durch altersgerechte Sexualpädagogik), informiert (zum Beispiel über ihre Rechte) und gehört (zum Beispiel ihre Beschwerden)?

      Hier geht es also um Aufklärung, Information und Beschwerdemöglichkeiten. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freien Zugang zu Informationen und Medien sowie kindgerechte Information.

       Participation/Beteiligung:

      Können Kinder und Jugendliche mitwirken (zum Beispiel bei der Gestaltung der Räumlichkeiten, an der Verteilung von Geldern, …)?

      Partizipation ist hier gemeint als Erfahrung, dass es einen Rahmen gibt, in dem ich aushandeln und mitentscheiden kann und auch die Folgen meiner Entscheidung bearbeiten kann (Prof. Wolfgang Schröer, Uni Hildesheim, Dez. 2021). Um Partizipation in einer Organisation leben zu können, braucht es finanzielle und personelle Ressourcen, die strukturelle Verankerung von Beteiligungsformen und Freiräume. Ebenso ist die Bereitschaft von erwachsenen Verantwortlichen erforderlich, Macht abzugeben und sich umfassend mit Beteiligungsmöglichkeiten und Umsetzungsoptionen zu befassen und sich darin fortzubilden.

      Protection/Schutz:

      Können auch schützende Strukturen in einer Organisation gelebt werden?

      Schutz ist hier gemeint als die Erfahrung, dass meine persönlichen Rechte gewahrt werden, ich sie einfordern kann und sie durchgesetzt werden: als Sicherung von Voice-, Choice-, Exit-Optionen (siehe weiter unten).

      Hier gilt es, tragfähige Lösungen für das Spannungsfeld von Schutz und Selbstbestimmung zu finden.

      Aus diesen Prinzipien resultiert eine:

      Kultur der Achtsamkeit

      Haltung und Bildung sind unverzichtbare Grundpfeiler im Rechte- und Schutzkonzept. Die Haltungsarbeit mündet in eine Kultur der Achtsamkeit mit verschiedenen Grundpfeilern:[1]

      • eine besondere Kultur der Aufmerksamkeit gegenüber Fehlern und des Umgangs damit
      • eine Beteiligungskultur, die im Alltag fest verankert ist
      • eine erhöhte Sensibilität für organisationale Abläufe
      • eine Haltung, die vereinfachende Erklärungen vermeidet und Ambivalenzen und Widersprüche zulässt
      • die Gewährleistung von höchstpersönlichen Rechten
      • die Gewährleistung von Choice-, Voice- und Exit-Optionen (siehe nächster Absatz)

      Mehr zur Kultur der Achtsamkeit finden Sie in den Bausteinen zur Prävention. 

      [1] Vgl. Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Weinheim: Beltz 2018.

      Choice, Voice, Exit

      Zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen herrscht immer ein Machtgefälle, welches aus einem Gefälle von Wissen und Orientierung resultiert. Rechte- und Schutzkonzepte sind andauernde und kontinuierliche Reflexionsprozesse in Organisationen zur Sicherstellung höchstpersönlicher Rechte („Choice, Voice, Exit“[1]) von Kindern und Jugendlichen.

      • Choice: Junge Menschen sollten immer die Wahl haben, ob sie sich in der aktuellen Situation befinden wollen.
      • Voice: Sie sollten immer das Recht haben, Rechteverletzungen zu äußern und ihre Stimme zu erheben.
      • Exit: Sie müssen aus jeder Situation aussteigen können.

      [1] In Anlehnung an: Hirschmann, I. O.: Exit, Voice and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States. Harvard University Press: Cambridge 1970.

      [2] Vgl. Oppermann e.a., siehe oben, S. 51.

      Literatur- und Materialempfehlungen

      BMFSFJ (Hrsg.): Die Rechte der Kinder von Logo! Einfach erklärt. Berlin 2019.

      Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Kinderrechte. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (Falter). Bonn 2018.

      FIPP (Fortbildungsinstitut für die pädagogische Praxis): Institutioneller Kinderschutz: Das partizipative Schutzkonzept. Berlin 2021. 

      Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Beltz: Weinheim 2018.


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      Was sind Rechte- und Schutzkonzepte?


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      Rechte- und Schutzkonzepte sollen Kinder und Jugendliche systematisch vor sexualisierter Gewalt schützen. Sie bezeichnen ein Zusammenspiel aus:

      • Analyse von Risiken und Schutzfaktoren einer Organisation
      • strukturellen Veränderungen
      • Absprachen und Vereinbarungen
      • einer gemeinsamen Haltung und schützenden Kultur

      Rechte- und Schutzkonzepte sind also ein Bündel von Maßnahmen, das alle Ebenen einer Organisation betrifft. Diese Maßnahmen werden individuell von jeder Organisation unter Beteiligung aller Mitarbeitenden, Eltern, Kinder und Jugendlichen erarbeitet. Ihre Wirksamkeit muss sich daran ermessen lassen, wie sie im Alltag gelebt werden. Mit ihren Elementen der Analyse, Prävention, Intervention und Aufarbeitung sind sie als zirkulär zu verstehen. [1]

      [1] Vgl. auch https://beauftragter-missbrauch.de/themen/schutz-und-praevention/schutzkonzepte

      Warum brauchen Organisationen Rechte- und Schutzkonzepte?

      Überall da, wo Menschen zusammenkommen, kann es auch zu Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen kommen. Und Täter*innen, die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ausüben, gehen strategisch vor. In der Regel suchen sie sich Organisationen, die ihnen gute Gelegenheitsstrukturen bieten und es ihnen ermöglichen, unentdeckt zu agieren. Das sind in erster Linie alle Orte und Einrichtungen, in denen sich viele Kinder und Jugendliche aufhalten. Vor allem Einrichtungen, die bestimmte Merkmale aufweisen – z. B. starke Abgrenzung nach außen, autoritäre Struktur, fehlende fachliche Standards, Gewaltkultur, Missachtung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, Unterdrückung sexueller Themen – scheinen für Täter*innen attraktiv zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn sexualisierte Gewalt „kein Thema“ ist und nicht aktiv, etwa im Rahmen von Rechte- und Schutzkonzepten, aufgegriffen wird.

      Darum müssen in allen Organisationen, in denen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und gelebt wird, Rechte- und Schutzkonzepte vorhanden sein und mit Leben gefüllt werden.

      Alle Bausteine eines Rechte- und Schutzkonzeptes können, wenn sie fest verankert wurden und entsprechend in die Öffentlichkeit getragen werden, auf Täter*innen eine abschreckende Wirkung haben. Die Aussage allen Handelns im Sinne des Kinderschutzes ist: „Wir wissen, wie Täter*innen agieren, und setzen uns für den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein.Die Bausteine machen es zudem Täter*innen schwerer, unentdeckt zu bleiben.

      Rechtlich betrachtet müssen alle Organisationen, die eine Betriebserlaubnis benötigen, das Wohl der Kinder und Jugendlichen gewährleisten. § 45 Absatz 2 des SGB VIII nennt für die Gewährleistung des Kindeswohls verschiedene Kriterien, zu denen seit der Reform des Kinder- und Jugendhilferechts im Juni 2021 auch die Entwicklung eines Gewaltschutzkonzepts zählt. Das Landeskinderschutzgesetz NRW, das am 1.5.2022 in Kraft getreten ist, hat die Verpflichtung erheblich ausgeweitet, mehr dazu hier

      Gleichermaßen gilt das Risiko sexualisierter Gewalt auch für den digitalen Raum, der insbesondere für Kinder und Jugendliche eine Erweiterung ihrer Lebenswelt bedeutet. Auch hier werden Erfahrungen gesammelt, Beziehungen gepflegt und Informationen beschafft, welche soziale Teilhabe ermöglichen. Gleichzeitig können auch hier Konflikte, Grenzverletzungen oder sexualisierte Übergriffe stattfinden, die in ihrer Beschaffenheit und Auswirkung traumatisch sein können. Darum muss ein Rechte- und Schutzkonzept Potentiale und Risiken auch im digitalen Raum in jedem seiner Bausteine mitdenken. Mitunter haben Fachkräfte in dieser Hinsicht ein starkes Orientierungsbedürfnis und suchen nach gesonderten Informationen hinsichtlich digitaler Phänomene wie Cybergrooming, Sexting oder sexistischer Gewalt im Netz. Der heutigen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen wird diese getrennte Betrachtung nicht mehr gerecht: digitale und nicht-digitale Lebenswelt korrespondieren und sind miteinander verbunden. Diese Ausgangslage muss noch weiter ins Bewusstsein gelangen und in der Entwicklung von Schutzkonzepten grundlegend verankert sein.

      Mehr zu Formen von sexualisierter Gewalt im digitalen Raum finden Sie hier: https://psg.nrw/themen/#digitalerRaum

      Fach- und Leitungskräfte

      Das Thema Sexualisierte Gewalt ist für Fachkräfte oft mit Unsicherheiten und dem Wunsch nach Handlungssicherheit verbunden. Was darf ich eigentlich noch? Was mache ich, wenn …?

      Rechte- und Schutzkonzepte:

      • sorgen für ausreichende Sensibilisierung und Information
      • identifizieren und beseitigen „blinde Flecken“
      • machen sprech- und handlungsfähig
      • geben Rückendeckung beim professionellen Handeln
      • schaffen eine professionelle Perspektive auf das Spannungsfeld von Nähe und Distanz
      • bringen einen Prozess der Auseinandersetzung und Reflektion in Teams in Gang
      • oder stoßen Organisationsentwicklungsprozesse an

      Kinder und Jugendliche

      Kinder und Jugendliche müssen am Prozess der Rechte- und Schutzkonzept-Entwicklung unbedingt beteiligt werden. Sie sind Grundrechtsträger*innen, und der Gewährleistung ihrer Rechte dient das Schutzkonzept. Partizipation ist ein wesentlicher Pfeiler.

      Rechte- und Schutzkonzepte:

      • schaffen den Rahmen für Grenzachtung und Schutz
      • gewährleisten Impulse zur positiven Gestaltung von Lernfeldern in der sexuellen Entwicklung
      • stärken Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenskompetenz
      • stärken die Position von Kindern und Jugendlichen und verringern das Machtgefälle
      • machen sie sprechfähig und befähigen sie, sich Hilfe zu holen

      Prozess

      Die Entwicklung von Schutzkonzepten ist ein Kommunikations- und Reflexionsprozess sowie ein Prozess der Organisationsentwicklung. Dieser Prozess …

      • braucht die Beteiligung aller Akteur*innen/Zielgruppen,
      • braucht Zeit,
      • braucht personelle und finanzielle Ressourcen,
      • braucht Entscheidungskompetenz.

      Außerdem ist externe Begleitung und Beratung hilfreich, um die Expertise und den Blick von außen zu nutzen.

      Sie können dabei in den folgenden 7 Arbeitsschritten vorgehen:

      1. Entscheidung für den Prozess
      2. Bildung einer Arbeitsgruppe
      3. Erstellung eines Zeitplans
      4. Sensibilisierung und Information relevanter Zielgruppen
      5. Einstieg in das Thema (Grundlagen- und Vertiefungswissen)
      6. ausführliche Durchführung einer Risikoanalyse
      7. Nutzung der Ergebnisse der Risikoanalyse und Umsetzung der weiteren Bausteine

      Mehr zu den einzelnen Schritten finden Sie hier: Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe, Wuppertal 2021.

      Literatur- und Materialempfehlungen

      Rechte- und Schutzkonzepte:

      Oppermann / Winter / Harder / Wolff / Schröer (Hrsg.): Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Beltz: Weinheim 2018.

      Paritätisches Jugendwerk NRW (Hrsg.) und ISA (Institut für soziale Arbeit e.V., inhaltliche Ausarbeitung): Schutzkonzepte für die Kinder- und Jugendarbeit. Arbeitshilfe. Wuppertal 2021. Broschüre und kostenloses PDF zum Download.

      Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: Schutzkonzepte. Berlin.

      Partizipation:

      BMFSJ (Hrsg.): Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Allgemeine Qualitätsstandards und Empfehlungen für die Praxisfelder Kindertageseinrichtungen, Schule, Kommune, Kinder- und Jugendarbeit und Erzieherische Hilfen. Berlin 2015.

      Deutscher Bundesjugendring: Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Berlin 2010.

      Deutscher Bundesjugendring: Materialien zu Jugendbeteiligung. Berlin.

      Sexualisierte Gewalt im digitalen Raum:

      Kärgel / Vobbe: Sexualisierte Gewalt und digitale Medien: Reflexive Handlungsempfehlungen für die Fachpraxis. Springer VS: Wiesbaden 2022.

      Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): https://digital.kein-raum-fuer-missbrauch.de/


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      Risikofaktoren in Organisationen


      Alle Organisationen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, bergen in mehr oder weniger stark ausgeprägtem Maß das Risiko, zum Ort für sexualisierte Gewalt zu werden. Täter*innen nutzen die Gelegenheitsstrukturen in pädagogischen Einrichtungen: Sie suchen sich gezielt Kontexte, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten.

      Faktoren, die das Ausüben sexualisierter Gewalt begünstigen

      Dabei wissen wir, dass zum einen solche Organisationen besonders anfällig für sexualisierte Gewalt sind, in denen sehr strenge Macht-, Abhängigkeits- und Hierarchieverhältnisse und ein autoritärer Leitungsstil herrschen. Auf der anderen Seite begünstigen auch solche Einrichtungen das strategische Vorgehen von Täter*innen, in denen es kaum Strukturen, also keine klaren Regeln, keine Verantwortungsübernahme durch die Leitung oder kein pädagogisches Konzept gibt.

      Denn im ersten Fall können Täter*innen die Macht und Hierarchie ausnutzen, um Druck und Abhängigkeit bei den Betroffenen zu erzeugen. Und im zweiten Fall werden die vorhandenen Freiräume ausgenutzt.

      Ebenso sind sowohl eine zu starke Abschottung der Einrichtung nach außen als auch eine zu weit gehende Öffnung derselben Risikofaktoren. Denn zum einen können Vorfälle so besser verborgen bleiben, zum anderen finden Täter*innen leicht Zugang.

      Wenn Kinder und Jugendliche in ihrer Autonomie nicht ausreichend gefördert werden, bleiben sie in einem Abhängigkeitsverhältnis, das sie gefährdet. Weitere Faktoren, die sexualisierte Gewalt begünstigen, sind eine Orientierung an traditionellen Geschlechterrollen, das Fehlen von sexueller Bildung bzw. ausreichender Sexualpädagogik, die Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen sowie ein lockerer Umgang mit Grenzen.   

      Was können Organisationen also tun, um sich zu schützen?

      Mit Schutzkonzepten, die wir in den folgenden Newslettern thematisieren und vertiefen werden, gibt es glücklicherweise unentbehrliche Instrumente, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der eigenen Einrichtung ganzheitlich und so weit wie möglich zu verankern. 

      Am Anfang eines jeden Schutzkonzeptprozesses steht die Potenzial- und Risikoanalyse. Die Potenzialanalyse hat das Ziel, die Ressourcen und Stärken der Einrichtung in Bezug auf die Umsetzung eines Schutzkonzeptes zu analysieren, wie etwa bereits bestehende Maßnahmen, Kompetenzen von Mitarbeitenden oder auch bereits bestehende Kooperationen mit spezialisierter Fachberatung oder dem Jugendamt.

      Bei der Risikoanalyse geht es darum, die Risikofaktoren, die jede Organisation in unterschiedlichem Maße mitbringt, zu identifizieren. Und zwar in Bezug auf die Zielgruppe, auf den jeweiligen Kontext der pädagogischen Situationen, mit Blick auf das Personal und die Personalpolitik, auf Kommunikations- und Entscheidungswege und auf die Betreuungsverhältnisse. Generell müssen all diese Aspekte organisationsspezifisch und auch auf  verschiedene Arten von Gewalt, also Übergriffe durch Erwachsene auf Jugendliche, von Jugendlichen auf Erwachsene und auch Gewalt unter den Kindern und Jugendlichen, reflektiert werden.

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      Sexuelle Bildung für Jugendliche


      Die Bedeutung von sexueller Bildung im Bereich der Prävention sexualisierter Gewalt an Jugendlichen ist enorm. Denn wenn Jugendliche ihre Gefühle, ihren Körper und ihre Grenzen kennen, wenn sie selbst-bewusst und sprachfähig sind und eine Sensibilität für Geschlechter- und Rollenklischees entwickelt haben, dann werden sie eher Nein sagen und sich Hilfe holen können, wenn ihnen eine Situation seltsam oder übergriffig erscheint.

      Es gibt zahlreiche Bücher und andere Materialien, anhand derer sich Jugendliche informieren können oder anhand derer Fachkräfte und Erziehende mit ihnen ins Gespräch kommen können. Wir möchten Ihnen hier einige ans Herz legen, die wir für besonders geeignet halten.

      Für  Jugendliche (und ältere Kinder)

      Klär mich auf! (Katharina von der Gathen)

      Katharina von der Gathen hat mit Grundschulkindern zum Thema Körper, Liebe, Sexualität gearbeitet. Während dieses Zeitraums konnten die Kinder anonyme Fragen in eine Box werfen – von der Gathen hatte versprochen, sie alle zu beantworten. Genau dies tut dieses Buch mit ehrlichen, ermutigenden, positiven Texten und mal lustigen, mal nachdenklichen Illustrationen von Anke Kuhl. „Was ist am Körper so wichtig?“ „Gibt es verschiedene Penise [sic]?“ „Warum haben Mädchen eine Scheide?“ „Wie oft hat man Sex?“ Kinder ab 9 Jahren und auch Jugendliche werden hier Antworten finden auf Fragen, die sie an anderer Stelle vielleicht nicht zu stellen wagen. Das Buch baut Berührungsängste ab und macht Lust, sich ohne Hemmungen mit diesen Thematiken zu befassen.

      Katharina von der Gathen, Anke Kuhl (Illustration): Klär mich auf! 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema. Klett Kinderbuch, 12. Aufl. 2014. 978-3-954-70119-3

      Weiteres Buch des gleichen Duos, denn die Fragen der Kinder reißen nicht ab: Klär mich weiter auf: Noch mehr echte Kinderfragen zu einem aufregenden Thema. Klett Kinderbuch, 2021. 978-3-954-7019-1

      Jungsfragen

      Schon seit 2014 beantwortet Benjamin Scholz für Jungs* ab 12 und alle weiteren Interessierten auf seinem YouTube-Channel „Jungsfragen“ Fragen rund um „die Pubertät und untenrum“. Mittlerweile ist er auch bei Instagram vertreten und hat ein gleichnamiges Buch bei Rowohlt herausgebracht. Scholz über sein Format: „Immer lustig, immer informativ, manchmal etwas albern, aber immer mit Hand und Fuß. Jede*r ist willkommen – egal welche Orientierung.“ Nach diesem Motto klärt er z.B., wie man Kondome korrekt benutzt, welche Mythen in Sachen Sex vor dem ersten Mal kursieren oder was es mit Klümpchen im Sperma auf sich hat.

      www.youtube.com/c/jungsfragen

      @jungsfragen.de; Benjamin Scholz: Jungsfragen. Alles, was du über deinen Körper und das Erwachsenwerden wissen musst. Rowohlt, 2. Aufl. 2019. 978-3-499-63460-4

      Girlsplaining (Katja Klengel)

      Diese Kolumnensammlung stellt berechtigte Fragen rund um Schönheitsideale und Rollenklischees, die den Alltag von Mädchen* und Frauen* heutzutage prägen. So beginnt der Werbetext des Verlags: „Warum haben wir vor dem Wort Vulva mehr Angst als vor Voldemort? Müssen wir uns wirklich für unsere Körperbehaarung schämen? Wieso werden im Schulunterricht hauptsächlich männliche Autoren gelesen? Und warum sind die Geschlechterrollen bei Kinderspielzeug immer noch in den 1950er Jahren stecken geblieben?“
      Die Autorin Katja Klengel geht diesen und vielen weiteren Aspekten regelmäßig so humorvoll wie ehrlich in ihrer Comic-Kolumne „Girlsplaining“‘ für das Online-Magazin Broadly auf den Grund. Die ersten sechs Episoden enthält nun das gleichnamige Buch, das Mädchen* und junge Frauen*, aber auch alle anderen ins Nachdenken bringt und zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und fragwürdigen Konventionen anregt.

      Katja Klengel: Girlsplaining. 160 Seiten. Reprodukt, 2018. ‎ 978-3-9564-0160-2

      Sex Education

      Eine erfrischend ehrliche Coming-of-Age Serie mit ganz eigenen Charme – zu finden bei Netflix.  Empathisch, vielfältig und menschenfreundlich. Die „Zeit“ schreibt darüber: „Sex kann mal zärtlich, schroff, gelegentlich peinlich, schmerzvoll, ungeschickt und mindestens genauso oft komisch sein. Laurie Nunns Serie Sex Education versteht das nicht nur, sondern lebt es auch vor. Teenager des 21. Jahrhunderts erkennen sich wieder und diejenigen von uns, die älter sind, wünschen sich, die Serie hätte es schon früher gegeben.“

      FAQ YOU – frequently asked questions about sex and love

      Das FAQ YOUBuch ist das Aufklärungsbuch von Jugend gegen AIDS. Es beantwortet viele Fragen von Jugendlichen zu den Komplexen Körper und Sexualität  – offen, ehrlich und anschaulich. Dabei gibt es auch Beiträge von prominenten Gastautor*innen wie Riccardo Simonetti, den „Lochis“ oder Felix Jaehn.

      Jugend gegen AIDS (Hg.): FAQ YOU – Ein Aufklärungsbuch: frequently asked questions about sex and love. 210 Seiten. Jugend gegen Aids, 2019. 978-3-00-064116-9

      Für Fachkräfte

      Sexalog

      Sexalog.de ist eine Plattform von profamilia für Fachkräfte in der sexuellen Bildung oder Lehrkräfte in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Sie bietet Werkzeuge und Wissen zu sexueller Bildung. In Blogeinträgen werden Materialien, Methoden und Medien vorgestellt und besprochen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Angeboten, die sich für eine digitale Verwendung eignen. Mittels eines leicht zu bedienenden Filters ist es möglich, passgenaue Vorschläge zu einem bestimmten Thema oder für eine bestimmte Zielgruppe zu finden. Unter anderem gibt es hier auch eine Methodensammlung zur Prävention sexualisierter Gewalt.

      Sexalog.de

      zanzu.de

      Zanzu stellt in 13 Sprachen einfach und anschaulich Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit zur Verfügung und erleichtert so die Kommunikation darüber. Es verschafft einen diskreten und direkten Zugang zu Wissen in den Bereichen Körperwissen, Familienplanung und Schwangerschaft, Verhütung, Beziehungen und Gefühle, HIV/STI, Sexualität sowie Informationen zu themenverwandten Rechten und Gesetzen in Deutschland. Dabei überbrückt es Sprachbarrieren und eignet sich insofern besonders z.B. für die Arbeit mit Geflüchteten. Zanzu bietet Beratungsstellen sowie Ärztinnen und Ärzten eine konkrete Arbeitshilfe für die tägliche Beratungspraxis. Das Portal wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit der belgischen Nichtregierungsorganisation Sensoa entwickelt, begleitet durch ein nationales und ein internationales Beratungsgremium, in dem u. a. die Weltgesundheitsorganisation (WHO – Regionalbüro für Europa) vertreten ist.

      www.zanzu.de

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      Täter*innen und ihre Strategien


      Wer Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt schützen möchte, muss sich mit Täter*innen und ihren Strategien auseinandersetzen. Denn noch immer herrschen diesbezüglich zahlreiche Mythen und Vorurteile vor. So ist es in den meisten Fällen nicht etwa der fremde (männliche) Täter im schwarzen Van, der vor der Kindertageseinrichtung oder der Schule auf seine Chance lauert. Sexualisierte Gewalt wird auch nicht vorrangig von Personen verübt, die eine Präferenz für kindliche Körperschemata haben, also pädosexuell sind.

      Wer ist es dann? 

      • 50-75% der Täter*innen kommen aus dem sozialen Nahfeld der Betroffenen, häufig auch aus der Familie. Sexualisierte Gewalt findet aber auch in Einrichtungen statt, in denen wir die Jungen* und Mädchen* gut aufgehoben glauben.
      • 85-90% der Taten werden von Männern verübt, schätzen Expert*innen – der Anteil von Frauen liegt somit bei 10-15 %. Der Mythos der „guten“ Mutter vernebelt dabei den Blick auf Grenzverletzungen und Gewalt durch Frauen.
      • Taten werden in erster Linie von Menschen begangen, die keine bzw. keine ausschließliche sexuelle Präferenz für Kinder bzw. Pubertierende haben. Täter*innen nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition sowie die Zuneigung und Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen aus, „um ihre eigenen (sexuellen, emotionalen und sozialen) Bedürfnisse auf Kosten der Kinder und Jugendlichen zu befriedigen.“[1] Täter*innen kommen in jeder sozialen Schicht vor, sie sind Männer* und Frauen* unabhängig ihrer sexuellen Orientierung.
      • Menschen, die sexualisierte Gewalt ausüben, sind nach außen hin oft unauffällig und verfügen über viele Taktiken, um unentdeckt zu bleiben. Deswegen sprechen wir auch von Täter*innen-Strategien.

      Aufgrund der hohen Dunkelziffer sind verbindliche Aussagen über Häufigkeiten jedoch nicht möglich. Die Ergebnisse von Studien zur sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen variieren nach der Definition von sexualisierter Gewalt, dem Studiendesign, der Stichprobe und auch der Informationsquelle. Für Fachkräfte sind diese Fakten letztlich nicht entscheidend. Wichtig ist die Tatsache, dass sie im Arbeitsalltag immer wieder Mädchen* und Jungen* begegnen werden, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Gleichzeitig geht damit einher, dass sich zwangsläufig auch Berührungspunkte zu Täter*innen ergeben. Deswegen ist es erforderlich, sich mit der Thematik fachlich auseinanderzusetzen und eine professionelle Haltung zum Thema Nähe-Distanz zu entwickeln.

      Wie gehen Täter*innen vor?

      • In der Regel gehen planen Täter*innen ihre Taten sorgfältig. Diese strategische Vorbereitung wird als Grooming-Prozess bezeichnet, womit gemeint ist, dass Täter*innen das Schamempfinden von Kindern sukzessive zu erweitern versuchen und diese sowie deren Umfeld manipulieren.
      • Die Betroffenen erhalten besondere Aufmerksamkeit und werden durch Täter*innen von der Gruppe und von ihren Bezugspersonen isoliert.
      • Täter*innen schaffen Gelegenheiten, um mit dem Kind/Jugendlichen alleine sein zu können. Es werden Berührungen eingeführt, die für das Beziehungsgefüge und den Kontext völlig unangemessen sind.
      • Täter*innen stellen gemeinsame Geheimnisse her und sprechen Schweigegebote aus, damit sich die Betroffenen niemandem öffnen. Sie suggerieren Betroffenen eine Mitverantwortlichkeit am Geschehen und drohen, dass bei der Offenlegung der Gewaltsituation von Seiten der Betroffenen etwas Schlimmes passieren werde.

      Quelle:

      [1] Deegener, Günther: Erscheinungsformen und Ausmaße von Kindesmisshandlung. Fachwissen­schaftliche Analyse. In: Heitmeyer, Wilhelm; Schröttle, Monika (Hg.): Gewalt. Beschreibungen Analysen Prävention, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006 (= Schriftenreihe 563), S. 23-72

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