Autor: Antje Lehbrink

Interview des Kinderschutzbundes: „Wie Eltern einen guten Babysitter finden“


Abends ins Theater, die Kneipe oder in den Club gehen oder samstags einen ganzen Nachmittag lang shoppen … Viele Mütter und Väter sehnen sich danach, hin und wieder mal Zeit ohne ihre Kinder zu verbringen – ob alleine, zu zweit oder mit Freunden. Wenn die Kinder noch nicht alt genug sind, um alleine zu Hause zu bleiben, brauchen Eltern eine private Kinderbetreuung. Aber wie finden sie eine Person, der sie ihren Nachwuchs anvertrauen können? MENSCHENSKINDER! hat mit Nadine Jastfelder über das Thema gesprochen.

Weiterlesen

Sexualisierte Peer-Gewalt im digitalen Raum – Artikel für die KJuG


Sexting und andere Formen der sexualisierten Kommunikation von Minderjährigen und Heranwachsenden mit (fast) Gleichaltrigen gehören heutzutage zur sexuellen Entwicklung und zu den sexualitätsbezogenen Herausforderungen. Um jugendtypische Kommunikationsformen zu respektieren und gleichzeitig ein sicheres Aufwachsen für Kinder und Jugendliche auch in digitalen Räumen zu ermöglichen, ist das Ziel, mit jungen Menschen über Grenzachtung, Geschlechterrollen und Strafbarkeiten zu sprechen. Ein Artikel von Silke Knabenschuh in der aktuellen Ausgabe von Kinder- und Jugendschutz in der Praxis.

Weiterlesen

„Sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorbeugen – Ansätze der Prävention“


„Überall da, wo Menschen miteinander in Beziehung treten, können Grenzverletzungen, Übergriffe und Formen sexualisierter Gewalt durch Erwachsene wie auch durch Kinder und Jugendliche vorkommen. Es ist entscheidend, damit bewusst, transparent und reflektiert umzugehen, um solche Fälle zu minimieren oder zu verhindern.“

Den ganzen Artikel zum Thema von  Nadine Jastfelder  für das Journal der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung NRW  (Ausgabe 6. Jahrgang 2024)  gibt es hier.

Weiterlesen

Der Gewaltbegriff im Rechte- und Schutzkonzept


Im Mai 2022 ist das Landeskinderschutzgesetz in NRW in Kraft getreten. Dort ist in §11 Absatz 1 verankert, dass Schutzkonzepte in der Kinder- und Jugendhilfe gegen Formen körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie gegen Machtmissbrauch und weitere Formen von Kindeswohlgefährdung schützen sollen. Angesichts dieses umfangreichen Gewaltbegriffs im Gesetz stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und Anknüpfungspunkten von Prävention, die ein Rechte- und Schutzkonzept leisten kann.

Jegliche Formen von Gewalt und Machtmissbrauch sind Risiken für das gesunde Aufwachsen von jungen Menschen. Das Erleben von Gewalt geht für Betroffene mit physischen und psychischen Belastungen einher, ist ein Risikofaktor für die Ausbildung von psychischen Krankheiten und steht der Wahrung von höchstpersönlichen Rechten der Kinder und Jugendlichen gegenüber.  Der Schutz vor Gewalt und die Wahrung von höchstpersönlichen Rechten ist daher eine grundsätzliche Aufgabe von pädagogisch Tätigen. 

Im Folgenden möchten wir darlegen, wie wir als Landesfachstelle mit dem umfangreichen Gewaltbegriff umgehen. Zum Zweiten möchten wir aber auch noch einmal begründen, warum wir es wichtig finden, Formen sexualisierter Gewalt hervorzuheben und spezifisch in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus erörtern wir, welche Möglichkeiten der Berücksichtigung wir im Schutzprozess sehen.  

Warum ein Zusammendenken des Gewaltbegriffs notwendig ist

Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Praxis zeigen, dass Gewaltformen nicht getrennt voneinander auftreten, sondern ineinander übergehen. Täter*innen, die sexuelle Handlungen gegen Kinder und Jugendliche ausüben, wenden in ihrem strategischen Vorgehen vor allem psychische Gewalt an. Sie manipulieren die Betroffenen und setzen sie unter Druck, um zu verhindern, dass sich junge Menschen hilfesuchend an Unterstützer*innen wenden können. Auch Formen von körperlicher Gewaltanwendung können Teil der Täter*innen-Strategie sein, um Betroffene körperlich zu desensibilisieren und/oder zu bedrohen.

Erwachsene sind vor allem durch ihre körperliche, psychisch-emotionale und kognitive Überlegenheit in einer Machtposition gegenüber Kindern und Jugendlichen. Täter*innen setzen an diesem ungleichen Verhältnis an, sie nutzen ihre Machtposition, um sexualisierte Gewalt auszuüben. Wenn wir von Prävention sprechen und diese durch Schutzprozesse umsetzen, so wenden wir uns damit der körperlichen und psychischen Unversehrtheit zu und berücksichtigen insbesondere das Machtverhältnis zwischen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen.

Auch in anderen Konstellationen verlaufen die Grenzen zwischen den Formen von Gewalt fließend. Zwar ist es möglich, dass einzelne Formen von Gewalt ohne die Anwendung weiterer Formen ausgeübt werden. Zum Beispiel kann psychische Gewalt durch systematische Beleidung und Erniedrigung auftreten, ohne dass es zu weiteren Formen der Gewalt kommt. Für Rechte- und Schutzkonzepte sehen wir dabei den Bedarf, die Perspektive auf Gewaltformen im Schutzprozess zu erweitern (siehe übernächsten Abschnitt).

Warum wir es wichtig finden, sexualisierte Gewalt zu betonen

Der Grund, aus dem wir im Zusammenhang mit Rechte- und Schutzkonzepten noch einmal besonders auf sexualisierte Gewaltdynamiken hinweisen wollen, ergibt sich aus dem strategischen Vorgehen der Täter*innen. Ihre manipulativen Strategien setzen nicht nur bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen an, sondern zielen auf das Umfeld und die Struktur ab, in denen sich Täter*innen bewegen. Sukzessiv verändern sie Abläufe, passen Regelungen an und beeinflussen Team-Dynamiken, sodass die Gegebenheiten insgesamt begünstigend für das Ausüben von sexualisierter Gewalt sind. Diese Besonderheiten durch Täter*innen-Strategien lassen sich ausschließlich für sexualisierte Gewaltdynamiken identifizieren.

Für das Minimieren des Risikos von (sexualisierter) Gewalt in Organisationen durch ein Rechte- und Schutzkonzept ist es daher entscheidend, die Strategien der Täter*innen zu kennen und bei der Betrachtung der Bedingungen in der Organisation/Einrichtung gezielt in den Blick zu nehmen.  

Im Schritt der Risiko- und Potentialanalyse werden mögliche Anknüpfungspunkte für Täter*innen-Strategien identifiziert, die somit Risikofaktoren für sexualisierte Gewaltdynamiken sind (> Risiko- und Potentialanalyse). Darauf aufbauend sollten dann Rechte- und Schutzkonzepte entwickelt werden, die eine achtsame und grenzwahrende Kultur in der Organisation etablieren und die Möglichkeitsräume für Täter*innen minimieren.

Warum eine differenzierte Betrachtung in den Bausteinen des Rechte- und Schutzkonzeptes sinnvoll ist 

Schutzprozesse haben zum Ziel, Risiken von (sexualisierter) Gewalt zu minimieren und dementsprechend Organisationen zu möglichst sicheren Orten für Kinder und Jugendliche zu machen. Ein wesentlicher Kern ist wie bereits beschrieben die Risiko- und Potentialanalyse, bei der es darum geht, die Bedarfe und Ressourcen für Schutzbemühungen zu identifizieren. Je differenzierter, detaillierter und umfassender die Analyse durchgeführt wird, desto realistischer und praxisnäher werden die Ergebnisse.

Dementsprechend kann eine Risiko- und Potentialanalyse davon profitieren, wenn Gewaltausformungen differenziert in den Blick genommen werden, um offenzulegen, inwiefern sich verschiedene Formen der Gewalt in der Organisationpraxis etabliert haben.

 Zum Beispiel lässt sich hier erörtern:

  • Welches Verständnis hat die Organisation von Gewalt? Gibt es ein Bewusstsein für einen differenzierten Gewaltbegriff mit unterschiedlichen Ausformungen?
  • Welche Regeln existieren in der Organisation, die den persönlichen Umgang untereinander beziehungsweise den pädagogischen Umgang zwischen Mitarbeitenden und Klient*innen festlegen?
  • Gibt es Umgangsformen, Traditionen/Rituale oder „ungeschriebene Gesetze“, die Aspekte von zum Beispiel körperlichen Grenzüberschreitungen, verbaler Abwertung oder Missachtung von persönlichen Grenzen aufweisen (in allen Konstellationen)?
  • Welche Verhaltens- und Kommunikationskultur existiert insbesondere unter den Mitarbeiter*innen? Gibt es eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und Achtung (auch in der Ansprache)? Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass sexualisierte Gewalt auch in mediatisierter Form auftritt, da digitale Medien Hilfsmittel und/oder Umgebung von Gewalthandlungen sein können?

Unter anderem Fragestellungen wie diese erweitern den Blick auf die eigenen Strukturen und legen den Fokus darauf, inwieweit Verhaltens- und Umgangsweisen, Sprache und Kommunikation oder Regeln (auch ungeschriebene) gewaltvoll sind und einer Veränderung bedürfen. Insbesondere Erwachsene haben die Möglichkeit zu überprüfen, inwiefern verschiedene Formen der Gewalt (bewusst oder unbewusst) Teil des organisationalen Alltags sind.

In einem zweiten Schritt lassen sich auf Grundlage der Erkenntnisse, die in der Risiko- und Potentialanalyse gewonnen wurden, konkrete Bausteine für das Rechte- und Schutzkonzept entwickeln. Auch dabei ist es möglich, alle Formen von Gewalt und Machtmissbrauch mitzudenken. So lassen sich beispielsweise Verhaltenserwartungen bezüglich der Nicht-Anwendung verbaler/psychischer Gewalt explizit in Verhaltensleitlinien und -kodexe implementieren. Ebenso können die Themen Gewaltprävention oder Deeskalationstraining mit in den Fortbildungsplan aufgenommen werden. Ein weiteres Beispiel ist die Möglichkeit, das Interventionsverfahren zu erweitern und interne Handlungsabläufe festzulegen, wenn es beispielsweise zu körperlichen Auseinandersetzungen unter Jugendlichen in der Einrichtung kommt.

Siehe dazu auch die Handreichung „Thema Jugend Kompakt. Rechte- und Schutzkonzepte in der Jugendverbandsarbeit“ der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend.

Was ist überhaupt Gewalt? Diese Diskussion muss weitergehen

Sämtliche Formen von Gewalt sind ein Risiko für gesundes Aufwachsen junger Menschen. Rechte- und Schutzkonzepte haben zum Ziel, Einrichtungen zu möglichst sicheren Orten für Kinder und Jugendliche zu machen. Daher müssen alle Formen von Gewalt in der Praxis mitgedacht werden. Eine Subsumierung von sexualisierter Gewalt in einen „allgemeinen Gewaltbegriff“ geht mit dem Risiko einher, dass ebenjene Spezifika aus dem Sichtfeld geraten und somit innerhalb des Schutzprozesses unzureichend berücksichtigt werden.

Die Einordnung des Gewaltbegriffs und welche Handlungen als gewaltvoll gelten, ist historisch gewachsen und wurde (und wird auch heute) unterschiedlich bewertet. Schauen wir auf Gewalt als Phänomen, ist es elementar zu hinterfragen, was wir überhaupt als Gewalt definieren und welche Ausformungen wir mit einbeziehen. In diesem Zusammenhang können wir Formen der Gewalt auch nicht losgelöst von gesellschaftlichen Machtstrukturen denken. Kinder und Jugendliche sind keine einheitliche Gruppe und die Bedingungen für das Aufwachsen sind von der sozialen Position abhängig. Diskriminierungserfahrungen durch unter anderem Klassismus, Rassismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder Ableismus gehören dabei zur Lebensrealität von jungen Menschen und ergeben unterschiedliche Vulnerabilitäten.

Auch betreffen junge Menschen weitere Gewaltkonstellationen wie Zeug*innenschaft häuslicher Gewalt, Gewalt in der Partner*innenschaft, Stalking, Sextortion und Femizide, die ebenfalls zur Lebensrealität gehören (können) und die es zu berücksichtigen gilt.

Die Komplexität und Viel-Dimensionalität des Gewaltbegriffs sind eine Herausforderung für die Präventionsarbeit durch Rechte- und Schutzkonzepte. An dieser Stelle sei aber noch einmal das Ziel der achtsamen Organisationskultur hervorgehoben, die sich durch Konzepte etablieren soll. Eine Kultur der Grenzachtung, des Hinschauens, der Verantwortung und (selbst-)kritischen Auseinandersetzung mit Machtstrukturen erschwert eine Anknüpfung von jeglichen Gewaltdynamiken und begünstigt ein möglichst sicheres Aufwachsen von jungen Menschen.

Weiterlesen

Dritter Umsetzungsbericht des Handlungs- und Maßnahmenkonzepts Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche


Das Handlungs- und Maßnahmenkonzept im Bereich „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ für NRW wurde im Jahr 2020 von der Landesregierung beschlossen und wird seitdem fortlaufend umgesetzt und weiterentwickelt. Nun ist der dritte Umsetzungsbericht erschienen. Er liefert einen ressortübergreifenden Überblick des Umsetzungsstands bestehender Maßnahmen und neuer Vorhaben innerhalb des Berichtszeitraums seit Anfang 2023 und berichtet auch über die Tätigkeiten der Landesfachstelle und ihrer Regionalstellen.

Kinder- und Jugendministerin Josefine Paul: „Es ist elementar wichtig, dass wir uns ressortübergreifend und mit vereinten Kräften der Aufgabe der Prävention, Intervention und Hilfe im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche widmen. Denn wirksamer Schutz gelingt nur in gemeinsamer Verantwortung. Unser oberstes Ziel ist und bleibt der bestmögliche Schutz unserer Kinder vor und in Fällen sexueller Gewalt. Der nunmehr dritte Umsetzungsbericht zeigt, dass wir uns diesem Ziel vollends verpflichtet fühlen und im Schulterschluss in einem starken Netzwerk mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren weiter verfolgen.”

Der dritte Umsetzungsbericht kann auf der Website des MKJFGFI eingesehen werden. Die ganze Pressemeldung gibt es hier. 

Weiterlesen

Grundkurs „Interdisziplinäre Kooperation im Kinderschutz“ (IKIK)


Der Grundkurs „Interdisziplinäre Kooperation im Kinderschutz“ (IKIK) ist ein Angebot des Kompetenzzentrums Kinderschutz NRW. Er richtet sich an alle Fachkräfte der unterschiedlichen am Kinderschutz beteiligten Berufsgruppen / Organisationen, die in NRW mit Kinderschutzaufgaben betraut sind. Somit gehören öffentliche und freie Jugendhilfe,  Justiz,  Polizei, Schule sowie Kindertagesstätten und Kindertagespflege u.v.m. zu den Zielgruppen.

Ziele des Kurses „Interdisziplinäre Kooperation im Kinderschutz“ sind:

  • Voraussetzung schaffen für gelingende interdisziplinäre Kooperation zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor (weiterer) Gewalt
  • sensibilisieren für die Perspektive von Kindern und Jugendlichen im interdisziplinären Kinderschutz
  • Überblick und Transparenz geben über Rollen, Aufgaben und Erwartungen der vielfältigen beteiligten Berufsfelder
  • Rechtliche Rahmenbedingungen und datenschutzrechtliche Vorgaben im interdisziplinären Kinderschutz verstehen lernen

Der Kurs besteht aus vier Modulen mit jeweils vier Unterrichtsstunden (= drei Zeitstunden). Die Module bauen aufeinander auf und können nur als Ganzes gebucht werden. Der Kurs kann auch inhouse gebucht werden, z. B. von einem kommunalen Netzwerk Kinderschutz. Die Teilnehmerschaft sollte sich aus möglichst unterschiedlichen Professionen zusammensetzen.

Hier finden Sie alle Infos zum Thema.

Weiterlesen

Rehabilitationsverfahren im Rechte- und Schutzkonzept


Unter vielen Fachkräften kursiert die Sorge, dass sie in der pädagogischen Praxis zu Unrecht mit Vorwürfen von (sexualisierter) Gewalt konfrontiert werden könnten. Das führt mitunter zu Verunsicherungen, insbesondere im Hinblick auf ein professionelles Verhältnis von Nähe und Distanz im pädagogischen Alltag. Fälle von tatsächlichen Falschbeschuldigungen kommen in der Praxis selten vor, aber die Angst davor bedarf einer Bearbeitung.

Für Organisationen empfiehlt sich darum die Erarbeitung eines sogenannten Rehabilitationskonzepts zur Wiederherstellung der Reputation der fälschlich angeschuldigten Person und zu ihrer Reintegration in die Organisation und pädagogische Tätigkeit.

Die mögliche Rehabilitation einer falsch beschuldigten Person ist Teil des gesamten organisationalen Aufarbeitungsprozesses, welcher sich an eine Fallbearbeitung anschließt.

Wichtig: Ein abgeschlossenes Interventionsverfahren sowie eine transparente und fachlich angemessene Abklärung des Verdachts sind für den Start eines Rehabilitationsprozesses unerlässliche Voraussetzungen. Es findet lediglich Anwendung, wenn im Rahmen des Interventions- und Klärungsprozesses nachgewiesen werden kann, dass sich der Verdacht gegenüber dem*der angeschuldigten Mitarbeiter*in zweifelsfrei als unbegründet herausgestellt hat.

Der Rehabilitationsprozess mit unterschiedlichen Akteur*innen der Organisation

Fälle sexualisierter Gewalt sind individuell und bedürfen daher auch einer individuellen Bearbeitung. Die im Folgenden skizzierten Handlungsschritte sind darum nicht als Schema zu betrachten, welches in jedem Fall so berücksichtigt werden muss. Sie dienen vor allem der Orientierung und zeigen auf, welche Ebenen innerhalb des Rehabilitationsprozesses bezogen auf falsch beschuldigte Mitarbeiter*innen berücksichtigt werden müssen.

Bei einem anstehenden Rehabilitationsverfahren übernimmt die Leitung die Koordination. Je nach Konstellation wird die Personalabteilung sowie die Mitarbeiter*innenvertretung hinzugezogen. Um Fachlichkeit zu gewährleisten, empfiehlt sich vor allem die Hinzunahme von externer Prozessbegleitung (z.B. Supervision).

Der Rehabilitationsprozess mit der falsch beschuldigten Person

Bezogen auf die falsch beschuldigte Person müssen zwei Aspekte bedacht werden: die (arbeitsrechtlichen) Formalia sowie die persönliche Aufarbeitung. Folgende Schritte können dabei relevant sein.

(Arbeits-)Rechtliche Aspekte:

  • Sind (vorübergehende) arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Freistellung, Suspendierung, Beurlaubung etc. erfolgt und können diese aufgehoben werden?
  • Existieren, bezogen auf den Fall, Einträge in der Personalakte und können diese gelöscht werden?
  • Sind bei der falsch beschuldigten Person Kosten entstanden, die durch Arbeitgeber*innen erstattet werden müssen (z.B. durch Straf- oder Arbeitsrechtsverfolgung)?
  • Bestehen Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz (z.B. durch Lohnausfall)?
  • Benötigt die falsch beschuldigte Person rechtlichen Beistand?

Für Arbeitgeber*innen ist es an dieser Stelle empfehlenswert arbeitsrechtliche Beratung und Vertretung hinzuzuziehen.  

Persönliche Aufarbeitung:

Zwischen einem Anfangsverdacht und der zweifelsfreien Feststellung, dass der Verdacht unbegründet war, vergeht unter Umständen einige Zeit, in der die falsch angeschuldigte Person mitunter hohem psychischem Druck ausgesetzt ist. Insbesondere für Pädagog*innen ergeben sich neben den Fragen der zivil- und strafrechtlichen Verfolgung vor allem auch Zukunftssorgen, inwiefern sie ihren Beruf weiter ausüben können.

Um die Person auf emotional-psychischer Ebene zu entlasten und um eine Wiederaufnahme der Tätigkeit zu ermöglichen, ist deshalb die Unterstützung durch Supervision oder psychologische Beratung zu empfehlen. Arbeitgeber*innen sollten auch an dieser Stelle prüfen, inwiefern sie Mitarbeiter*innen, ggf. auch finanziell, unterstützen können.

  • Welche psychischen Belastungen sind entstanden? Welche Entlastungsstrategien können gefunden werden?
  • Welche Sorgen/Ängste haben sich (in Bezug auf das Fortsetzen der Tätigkeit) entwickelt?
  • Welche Folgen hat der Vorfall für die pädagogische Tätigkeit insgesamt?
  • Wie geht die Person zukünftig in Nähe-Verhältnisse mit Kindern und Jugendlichen?

Die Reintegration in die Organisation und pädagogische Tätigkeit ist das Ziel. Je nach Fall und Dynamik innerhalb der Organisation variiert die Wahrscheinlichkeit, dass dies überhaupt möglich oder gewünscht ist. Falls eine Wiedereingliederung (aufgrund unterschiedlicher Faktoren) nicht möglich ist, müssen Arbeitgeber*innen prüfen, inwiefern sie die falsch angeschuldigte Person anderweitig unterstützen (z.B. durch das Angebot eines Einrichtungswechsels, Unterstützung bei der Bewerbung etc.).

Der Rehabilitationsprozess mit dem Team und den direkten Kolleg*innen

Damit die Rehabilitation einer falsch beschuldigten Person gelingen kann, muss insbesondere die Ebene der direkten Kolleg*innen beziehungsweise des Gesamtteams mitgedacht werden.

Die Leitfrage für das Team lautet: Was ist notwendig, damit zur falsch beschuldigten Person wieder Vertrauen hinsichtlich ihrer pädagogischen Professionalität gefasst werden kann? Das Team muss ausreichend Zeit und Raum einplanen, um daran zu arbeiten.

Verbunden mit dem Verdachtsfall sexualisierter Gewalt sind im gesamten Team der Organisation ebenfalls Belastungen und Emotionen entstanden, die bearbeitet werden müssen. Das Risiko der Team-Spaltung ist in solch einem Fall sehr groß, da die Mitglieder in der Regel unterschiedliche Perspektiven sowohl auf den Fall selbst als auch auf die falsch angeschuldigte Person haben. 

Es ist hilfreich, wenn die Leitung gegenüber dem Team den gesamten Fall noch einmal transparent rekonstruiert und chronologisch aufzeigt, durch welche Schritte und Maßnahmen zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass es sich um eine Falschbeschuldigung handelt.  Die professionelle Klärung von Verdachtsfällen und die transparente Weitergabe von Informationen zum Geschehen erhöht die Chance im Team, dass das Vertrauen in die pädagogische Professionalität der falsch beschuldigten Person wieder wachsen kann.

Im Rahmen der weiteren Bearbeitung braucht es Raum für die Sorgen, Ängste, Wut oder andere Emotionen, die durch die Situation bei den einzelnen Mitarbeitenden entstanden sind. Externe Moderation sowie supervisorische Begleitung sind auch an dieser Stelle besonders empfehlenswert. Je nach Fall und Konstellation sind möglicherweise sogar mehrere Sitzungen notwendig, um dem Team den Raum zu geben, den es braucht.

Die Rehabilitation einer falsch beschuldigten Person ist ein Prozess, der vor allem auf der kognitiv-emotionalen Ebene der Beteiligten stattfindet. Dabei kann zum Beispiel Folgendes erörtert werden:

  • Aus persönlicher Sicht: Was benötigt das Team, um Vertrauen herzustellen oder wiederaufzubauen?
  • Aus fachlicher Sicht: In welche Situationen könnte die zu Unrecht beschuldigte Person zukünftig kommen, in denen der Verdacht eine Rolle spielt? Wie kann das Team damit umgehen?
  • Wechsel der Perspektive: Was wünscht sich ein*e Mitarbeiter*in, die unbegründet in den Verdacht der Gewaltausübung geraten ist?
  • Welche Konsequenzen für die pädagogische Praxis zieht das Team aus diesem Fall? Muss das Rechte- und Schutzkonzept überarbeitet werden (z.B. durch die Erweiterung der geltenden Verhaltensleitlinien)?

An dieser Stelle ist noch einmal zu prüfen, ob es einzelne Mitarbeiter*innen gibt, die gesonderte Gespräche benötigen (z. B. weil sie eine tragende Rolle bei der Intervention innehatten oder sie nachhaltig belastet sind). Dieses Angebot sollte ebenfalls aktiv durch die Leitung kommuniziert werden.

Es ist abzuwägen, inwiefern die Erarbeitungen gemeinsam oder zunächst getrennt zwischen Team und falsch angeschuldigter Person erfolgen. Im weiteren Verlauf kann es hilfreich sein, wenn es gemeinsame Gespräche gibt, in denen z.B. gegenseitige Erwartungen formuliert sowie Vereinbarungen an und für die weitere Zusammenarbeit getroffen werden.

Inwiefern eine Rehabilitation innerhalb der Gesamtorganisation notwendig ist, muss geprüft werden. Hierbei sind insbesondere die Persönlichkeitsrechte sowie der Datenschutz der falsch beschuldigten Person zu wahren.

Der Rehabilitationsprozess auf Team-Ebene sowie die (fachliche) Aufarbeitung des Falls sind für den zukünftigen Umgang mit Verdachtsfällen von (sexualisierter) Gewalt sehr wichtig. Sollten Ängste bei Mitarbeitenden verbleiben, besteht das Risiko, dass sie anlässlich eines weiteren Verdachts aus Unsicherheit untätig bleiben.

Der Rehabilitationsprozess mit Kindern und Jugendlichen

Je nach Fall sind auch die Kinder und Jugendlichen der Einrichtung über den Fall informiert. Dabei kann ihr Informationsstand unterschiedlich konkret und umfangreich sein. In jedem Fall bekommen Kinder und Jugendliche mit, dass ein Klärungsprozess innerhalb der Einrichtung läuft, weil sie z.B. merken, dass die Erwachsenen in Aufregung sind oder dass ein*e Mitarbeiter*in nicht mehr da ist. Ist die Situation geklärt und der Verdacht zweifelsfrei ausgeräumt, müssen Maßnahmen der Rehabilitation auch auf dieser Ebene erfolgen. Diese können zum Beispiel (je nach Einrichtung und Handlungsfeld) verschiedene Gesprächsformate beinhalten:

  • Eine zielgruppengerechte Kommunikation: Über den Fall, unter Berücksichtigung des Alters- und Entwicklungsstandes der jungen Menschen sowie ihres Kenntnisstandes. Die Hinzunahme externer Beratung bezüglich der zu treffenden Wortwahl und der geteilten Inhalte empfiehlt sich hier.
  • Raum für Gedanken und Emotionen der Kinder und Jugendlichen schaffen: Gibt es Ängste, Sorgen oder Unsicherheiten in Bezug auf den Fall?
  • Wechsel der Perspektive: Wurden Kinder und Jugendliche schon einmal für etwas beschuldigt, das sie nicht getan haben? Was haben sie sich gewünscht, wie die anderen damit umgehen?
  • Gesprächsangebote machen: Die Erwachsenen machen Angebote zu Einzelgesprächen, um über Inhalte zu sprechen, die Kinder und Jugendliche nicht in der Gruppe teilen möchten.

Der Umgang mit falsch beschuldigenden Personen

An dieser Stelle muss grundsätzlich differenziert werden zwischen dem Umgang mit Erwachsenen/Fachkräften und dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die falsche Anschuldigungen tätigen.

Fachkräfte

Unbegründete Verdachtsmomente in Fällen von (sexualisierter) Gewalt kommen aus unterschiedlichen Gründen zu Stande, nicht nur durch bewusst falsche Anschuldigungen, wie es häufig  angenommen wird. Wenn ein falscher Verdacht entstanden ist, in dessen Rahmen zum Beispiel (im Rahmen des Interventionsprozesses) Kommunikation unzureichend gewesen ist oder Schritte zur Klärung nicht eingehalten wurden, ist der Fall fachlich zu reflektieren und aufzuarbeiten.

Hierbei steht die Frage im Vordergrund: Durch welche Umstände/Konstellationen ist es dazu gekommen, dass Mitarbeiter*in XY fälschlich im Verdacht stand, sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben?

Wie bereits oben beschrieben, sind Maßnahmen im Rehabilitationsprozess bezogen auf das Team zu unternehmen. Im Besonderen ist dann noch einmal zu prüfen, inwiefern es Personen im Prozess gab, die maßgeblich am Zustandekommen der Falschanschuldigung beteiligt waren. Für den Rehabilitationsprozess ist es wichtig, dass sie in die Verantwortung genommen werden:

  • Welche Erklärung haben sie für das Zustandekommen der Falschbeschuldigung?
  • Muss die Übernahme von Verantwortung teamintern kommuniziert werden?
  • Muss eine Entschuldigung (auch schriftlich) erfolgen?
  • Ist weitergehend eine Mediation o.Ä. für die Zusammenarbeit zwischen falsch beschuldigender und falsch angeschuldigter Person erforderlich?

Gleiches gilt für Personen, die bewusst falsche Anschuldigungen tätigen, um die andere Person zu schädigen. In diesem Fall sind darüber hinaus straf- und arbeitsrechtliche Maßnahmen möglich.

Kinder und Jugendliche

Auch Falschanschuldigungen unter Kindern und Jugendlichen können aus unterschiedlichen Gründen entstehen. Es ist daher zunächst zu erörtern, wie es zu den falschen Anschuldigungen gekommen ist. Je nach Alter und Entwicklungsstand muss der Fall mit ihnen aufgearbeitet werden und müssen sie ebenso in die Verantwortung genommen werden:

  • Welche Hintergründe hat die Falschanschuldigung/Gab es eine bestimmte Motivation?
  • Ist eine (schriftliche) Entschuldigung aus pädagogischer Sicht sinnvoll? Müssen sie dabei unterstützt werden?

Für Kinder und Jugendliche, die Mitarbeitende falsch beschuldigen, besteht weiterhin grundsätzlich eine pädagogische Verpflichtung und je nach Fall muss erörtert werden, welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind, damit eine pädagogisch angemessene Beziehungsgestaltung wieder möglich wird.

Zusätzlich zu diesen Maßnahmen empfiehlt es sich, Kinder und Jugendliche, die falsche Beschuldigungen geäußert haben, an spezialisierte Fachberatungsstellen oder Kinder- und Jugendtherapeut*innen anzubinden. Es ist zum Beispiel möglich, dass diese Kinder/Jugendlichen (sexualisierte) Gewalt erlebt haben – nur eben nicht durch die Person, die sie beschuldigt haben. Daher ist dem Schritt der Aufklärung der Hintergründe/Motivation noch einmal besondere Sorgfalt zu zuzuschreiben.

 Je nach Fall muss geprüft werden, inwiefern Eltern und Sorgeverantwortliche im Rehabilitationsprozess berücksichtigt werden müssen. Das größtmögliche Maß an Transparenz zur Wiederherstellung von Vertrauen in die Organisation steht an dieser Stelle im Spannungsfeld mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten. Eine sorgsame Abwägung von geeigneten Maßnahmen ist auch auf dieser Ebene notwendig.

Dokumentation und weitere Aufarbeitung

Für den gesamten Rehabilitationsprozess ist eine umfassende Dokumentation durchzuführen, welche an die des Interventionsverfahrens anschließt. So sollten zum Beispiel getroffene Entscheidungen, Ergebnisse der Gesprächsrunden (insbesondere Vereinbarungen und Erwartungen für die zukünftige Zusammenarbeit) und Ideen für Veränderungen chronologisch erfasst werden.

Für Organisationen besteht unter Umständen Bedarf nach weiteren Maßnahmen nach innen und außen. Zum Beispiel kann es notwendig sein, dass eine Rehabilitation der Einrichtung oder Gesamtorganisation in der Öffentlichkeit notwendig ist. Hierfür sind weitere Schritte, insbesondere der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, im Rahmen des Aufarbeitungsprozesses notwendig. Intern liefern sowohl das Interventions- als auch ein nachfolgendes Rehabilitationsverfahren möglicherweise nochmal wichtige Erkenntnisse in Bezug auf das Rechte- und Schutzkonzept. An welchen Stellen haben Strukturen nicht ineinandergegriffen oder waren diese für den Klärungsprozess hinderlich? Haben Arbeitsweisen, Konzepte oder Regelungen den Falschverdacht begünstigt? Somit können die Prozesse auch genutzt werden, um gegebenenfalls das Rechte- und Schutzkonzept anzupassen.

Das Rehabilitationsverfahren im Rechte- und Schutzkonzept 

Eine umfassende und am Betroffenenwohl orientierte Bearbeitung der Vorfälle von sexualisierter Gewalt ist auf organisationale Kapazitäten angewiesen. Im Rahmen von Intervention empfiehlt es sich einen Leitfaden zu erstellen, der festlegt, wie diese Kapazitäten (im Sinne der Fallbearbeitung) bestmöglich eingesetzt werden (siehe auch den Baustein „Intervention“). Insofern hat der Interventionsplan präventiven Charakter, weil er eine Organisation auf eine mögliche Krisensituation vorbereitet und den Beteiligten Handlungssicherheit geben kann.

Gleiches gilt für die Festschreibung eines möglichen Rehabilitationsverfahrens im Rechte- und Schutzkonzept, auch wenn das Gelingen eines solchen Rehabilitationsprozesses nicht garantiert werden kann. Es wird sichergestellt, dass Ressourcen eingeplant werden, um sowohl die institutionelle Wiedereingliederung als auch die Wiederherstellung der Reputation einer Person zu ermöglichen, deren Falschbeschuldigung im Rahmen der Verdachtsabklärung zweifelsfrei festgestellt werden konnte.

An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich bei Verdachtsmomenten immer um individuelle Fälle handelt, die im Vorfeld schematisch nicht festgeschrieben werden können. Im Rechte- und Schutzkonzepte ist es daher auch nicht sinnvoll, einen umfassenden Rehabilitationsprozess unter Einbezug aller Ebenen zu beschreiben. Entscheidend ist in erster Linie die konzeptionelle Sicherstellung des Ressourceneinsatzes, die ein fachgerechter Rehabilitationsprozess benötigt.

Die Festschreibung eines solchen Rehabilitationsprozesses vermittelt die Sicherheit gegenüber Mitarbeitenden, dass die Organisation Verdächtigungen, die sich als fälschlich herausgestellt haben, ernst nimmt und im Sinne der Fürsorgepflicht weiterbearbeitet. Dadurch kann ein solches Verfahren dazu beitragen, dass Widerstände gegenüber dem Schutzprozess insgesamt abgebaut werden. Daher ist die breite Informationsweitergabe in die Organisation empfehlenswert und kann zum Beispiel bereits bei Neueinstellung thematisiert werden oder im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung vorgestellt werden.

Andererseits, und das ist im Sinne des Kinderschutzes nochmal besonders hervorzuheben, hat ein Rehabilitationsverfahren auch eine Signalwirkung auf Kinder und Jugendliche. Durch personenunabhängige und standardisierte Interventionsverfahren erleben Kinder und Jugendliche, dass Verdachtsmomente und Anschuldigungen von den Erwachsenen unvoreingenommen bearbeitet werden. Wenn sich darauffolgend ein Verdacht als unbegründet herausstellt und ein Rehabilitationsverfahren folgt, in dem die Perspektive von jungen Menschen weiterhin eine Rolle spielt, stellt dies nicht nur eine Wirksamkeitserfahrung dar. Es vermittelt Kindern und Jugendlichen gleichsam, dass auch unbegründete Fälle sexualisierter Gewalt nicht „unter den Teppich gekehrt“, sondern sorgfältig aufgearbeitet werden. Somit können auch Rehabilitationsverfahren dazu beitragen, dass eine Organisation zu einem verlässlichen und sicheren Ort für Kinder und Jugendliche wird. 

Hinweis

In der Praxis zeigen sich häufig Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt, die sich nicht restlos aufklären lassen. In derartigen Fallkonstellationen ist die Einleitung eines Rehabilitationsverfahren nicht gegeben, da, die zweifelsfreie Ausräumung eines Verdachtes die notwendige Voraussetzung dafür ist. Verantwortliche müssen in solchen Fällen Überlegungen anstellen, wie es in dieser Situation weitergehen kann. Auch wenn gegenüber Mitarbeiter*innen unter Verdacht weiterhin Pflichten des Arbeitgebers bestehen, bleibt ebenso die Schutzverantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen bestehen. Der Schutz von jungen Menschen hat dabei immer Priorität. Zu diesem Thema empfehlen wir folgende Publikation, zum kostenlosen Download erhältlich: Kavemann, Barbara, Rothkegel, Sibylle, Nagel, Bianca: Nicht aufklärbare Verdachtsfälle bei sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt durch Mitarbeiter*innen in Institutionen. Nicht 100 Prozent Sicherheit, aber 100 Prozent Professionalität, Berlin 2015, 81 Seiten.

Weiterlesen

Ministerin Paul zum Aktionstag „One Billion Rising“ gegen Gewalt an Frauen und Mädchen


Am Mittwoch, den 14. Februar 2024, fand zum elften Mal der internationale Aktionstag „One Billion Rising“ statt, der sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit einsetzt. Auch in Nordrhein-Westfalen fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen.

Ministerin Josefine Paul: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat viele Facetten, und leider kann jede Frau und jedes Mädchen im Laufe ihres Lebens Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt werden. Jede dritte Frau erlebt psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt, häufig im Verborgenen und häufig regelmäßig. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass Frauen und Mädchen sicher und frei von Gewalt leben können und Betroffene Hilfe und Unterstützung finden. Deshalb ist es wichtig, mit Aktionstagen wie ‚One Billion Rising‘ ein Zeichen gegen Gewalt und für den Schutz von Frauen zu setzen.“

Hier geht’s zur Pressemitteilung des MKJFGFI.

Weiterlesen

Sexuelle Bildung in sozialen Medien und Prävention sexualisierter Gewalt


Menschen sind von Geburt an sexuelle Wesen. Dabei unterscheidet sich die Sexualität von Kindern deutlich von der Erwachsener – sie ist verspielt, spontan und neugierig, das eigene Handeln wird noch nicht als sexuell wahrgenommen.

Wenn aus Kindern Jugendliche werden, sehen sie sich u.a. mit zahlreichen Entwicklungsaufgaben im sexuellen Bereich, in ihrer sexuellen Identität konfrontiert. Sie müssen lernen, Sexualität in ihre Identität zu integrieren und ihre körperliche Erscheinung zu akzeptieren. Sie müssen in die ihnen zugeschriebene Geschlechterrolle finden, und sie bauen schrittweise intime Beziehungen auf. 

Sexuelle Bildung und Prävention

Sexuelle Bildung soll Kindern und Jugendlichen helfen, grundlegende Fähigkeiten zu entwickeln, um ihre Sexualität zu verstehen, sichere Beziehungen aufzubauen und verantwortungsvoll mit ihren Grenzen und denen ihrer Partner*innen umzugehen. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der die Förderung und den Schutz einer selbstbestimmten sexuellen Identität beinhaltet und dazu beiträgt, sexualisierte Gewalt zu verhindern (vgl. World Health Organization Europe 2011, S. 22).

Die Art, wie Heranwachsende mit Sexualität umgehen und wie sie darüber kommunizieren, kann ihren Schutz vor sexualisierter Gewalt oder aber ihre Vulnerabilität erhöhen. Eine sexualfreundliche Erziehung hilft Kindern und Jugendlichen, ihre Rechte kennenzulernen, ihre eigenen Grenzen und die anderer zu wahrzunehmen und zu respektieren sowie ihre sexuelle Identität selbstbestimmt auszuleben. Wenn sie in Bezug auf Sexualität sprechfähig sind, können sie Grenzverletzungen benennen und sich Erwachsenen mitteilen. Die sexualfreundliche Erziehung ist also unverzichtbarer Bestandteil der Prävention sexualisierter Gewalt.

Erziehende und pädagogische Fachkräfte haben darum die Verantwortung, Jugendliche in ihrer sexuellen Entwicklung und Identitätsbildung zu begleiten und Schutz- und Kompetenzräume zu schaffen. Dabei sollte die Prävention von sexualisierter Gewalt nicht zur Prävention von Sexualität werden: Es ist wichtig, eine Balance zwischen Selbstbestimmung und Schutz sowie Sexualitätsbejahung und Gefahrenabwehr zu finden.

Sexuelle Bildung in sozialen Medien

Ziel von sexueller Bildung sollte es sein, sexuelle Informationen zu vermitteln und den Austausch über entsprechende Fragen zu ermöglichen, um sexuelles Wissen und Handlungskompetenzen auszubauen. Dafür bietet sich der digitale Raum an, wie ein kurzer Blick auf aktuelle Tendenzen zeigt:

Bei einer Umfrage der BZgA gaben 56 Prozent der befragten Mädchen und 62 Prozent der befragten Jungen (zwischen 14 und 17 Jahren) u. a. das Internet als Quelle ihrer Kenntnisse über Sexualität, Fortpflanzung etc. an (vgl. BZgA, 2019).  Dabei sind in den sozialen Medien in den vergangenen Jahren zahlreiche Accounts zur sexuellen Bildung hinzugekommen. Die jungen Menschen erhalten ihre Informationen meist über gezielte (situative) Recherche oder aber algorithmusbedingt per Push. Hinsichtlich der Anbietenden und der Inhalte zeigt sich ein diverses Bild – so können dies Gesundheitsprofis wie die BZgA oder pro familia, journalistische Angebote (etwa von funk) oder auch Accounts von Lai*innen sein, welche ihre persönlichen Einstellungen und Erfahrungen teilen. Es spiegelt sich auch hier der Wandel in der Sexualpädagogik und sexuellen Bildung der vergangenen Jahre wider – weg von der Gefahrenzentrierung hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.

Sexuelle Bildung in sozialen Medien ist schnell und diskret, barrierearm und divers hinsichtlich der Themen wie auch der Zielgruppen. Allerdings eröffnen diese Eigenschaften auch einige Nachteile – so etwa das Risiko der Falschinformation bzw. Fehleranfälligkeit, der Verbreitung von Ideologien oder des Aufbaus von sexuellem Leistungsdruck. Auch werden Debatten bezüglich sexualisierter Gewalt ausgetragen, in denen die Schuld Betroffenen zugewiesen wird („Victim Blaming“, „Slut Shaming“). Entscheidend für eine risikoarme Nutzung sind also Medienkompetenzen wie das Recherchieren und Überprüfen von Quellen und der Abgleich verschiedener Positionen (vgl. Döring, 2019).

Was macht gute Angebote der sexuellen Bildung in den sozialen Medien aus?

  • Darstellung von Vielfalt und Werben für Akzeptanz und Verständnis
  • Möglichst wenige Stereotype (in Bildern, Videos und Texten)
  • Unterstützung Jugendlicher in ihren Entwicklungsaufgaben
  • Vermeidung von Ideologieüberfrachtung oder Mystifizierung
  • Leistungsdruck wird durch einen Bezug zur Realität abgebaut
  • Alle Sinnaspekte von Sexualität werden berücksichtigt
  • Auch Auseinandersetzung mit vermeidlich Peinlichem, Pannen oder Außergewöhnlichem
  • Barrierearme Zugänge (z.B. Untertitel, Leichte Sprache, Voiceover)
  • Sexualfreundlich
  • Sachlich korrekte Sprache und klare Benennung von z.B. Geschlechtsorganen

Prävention im digitalen Raum

Wie können diese Entwicklungen nun in der Prävention sexualisierter Gewalt zusammengebracht werden? Grundsätzlich sollten alle Bausteine eines Schutzkonzeptes daraufhin überprüft werden, wie sich der digitale Raum berücksichtigen lässt und welche Notwendigkeiten sich diesbezüglich ergeben. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat Bestandteile eines Schutzkonzeptes für den digitalen Raum formuliert (vgl. UBSKM, 2022):

  • Klare Regeln aufstellen (etwa Community Guidelines zum Umgang mit sexualisierter Gewalt)
  • Technische Möglichkeiten nutzen (etwa Schutzmechanismen oder Alterskennzeichnung)
  • Handlungsstrategie festlegen (Beschwerdeverfahren, Konsequenzen bei Regelverstößen etc.)
  • Aktiv informieren (etwa durch zielgruppengerechte Ansprache von jungen Menschen und Eltern)
  • Personalverantwortung übernehmen (etwa gezielte Auswahl und Qualifizierung von Mitarbeitenden von Beschwerdestellen oder Chat-Funktionen)
  • Kooperationen ausbauen (etwa mit Beratungsstellen oder Strafverfolgungsbehörden)
  • Grundsätzlich sollte es Leitlinien im Umgang mit Social Media in den Einrichtungen geben, die gemeinsam mit allen Beteiligten ausgehandelt werden und im Schutzkonzept verankert werden. Sie sollten z.B. Themen wie Daten- und Jugendschutz sowie eine Netiquette und Beschwerdemöglichkeiten beinhalten.

Präventionsangebote sollten Jugendliche bestärken, Gefahren thematisieren und die Wichtigkeit von Konsens(bildung) vermitteln. Dies kann auch mit Social-Media-Accounts unterstützt werden. Zum Beispiel können Postings und Reels von Fachkräften aufgegriffen und mit den Jugendlichen besprochen werden. Sie können als Impuls für vertiefende Gespräche zu sexuellen Themen genutzt werden.

Es ist außerdem wichtig, dass Erwachsene Jugendliche dabei unterstützen, ein gesundes Verhältnis zur Nutzung sozialer Medien zu entwickeln und ihre Kompetenzen in Bezug auf die Digitalisierung zu stärken. Erwachsene, die mit Kindern und Jugendlichen leben oder arbeiten, brauchen also ausgeprägte Medien- wie auch Sexualkompetenzen, um die jungen Menschen begleiten und schützen zu können. Und um ansprechbar und informiert zu sein, brauchen sie Offenheit und Interesse für die digitale Lebenswelten und konkrete Angebote im Netz. Fachkräfte müssen sich mit Grenzüberschreitungen und dem Verhältnis von Nähe und Distanz auch in Bezug auf ihre eigene Rolle ebenso wie mit stereotypen Geschlechterbildern und dem eigenen Verständnis von Sexualität auseinandersetzen.

Zwei Bildungsaufgaben für Fachkräfte:

  1. Kompetenzentwicklung und Bewältigung von Entwicklungsaufgaben bezüglich der eigenen sexuellen Identität im Erwachsenenleben
  2. Begleitung der Entwicklung und Kompetenzaneignung von jungen Menschen im Sinne von sexueller Bildung

Literaturverzeichnis

 BZgA (Hrsg.): BZgA-Repräsentativstudie „Jugendsexualität 9. Welle“. Datensatz „Jugendsexualität“, https://shop.bzga.de/bzga-repraesentativstudie-jugendsexualitaet-9-welle/, abgerufen am 11.9.2023.

Döring, Nicola: Sexualaufklärung in digitalen Medien: Der aktuelle Entwicklungs- und Forschungsstand. In: BzgA (Hrsg.):  Forum Sexualaufklärung und Familienplanung 01-2019, Köln 2019.

Timmermanns, Stefan: Materialien der Sexualerziehung. In: Berenike Schmidt, Renate / Sielert, Uwe (Hrsg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung, Beltz Juventa, Weinheim 2013.

Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: Schutzkonzepte für den digitalen Raum – Bestandteile eines Konzepts zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt. 2022. https://beauftragte-missbrauch.de/fileadmin/user_upload/Schutzkonzepte_fuer_den_digitalen_Raum_akualisiert.pdf, abgerufen am 11.09.2023.

World Health Organization Europe (WHO-Regionalbüro für Europa) / Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.): Standards für die Sexualaufklärung in Europa. Rahmenkonzept für politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Expertinnen und Experten, Köln 2011.

Weiterlesen

  • 1
  • 2