PsG.nrw: Warum gibt es laut Statistik immer mehr Jugendliche, die sich im digitalen Raum strafbar machen?
Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger: Leider müssen wir in der polizeilichen Kriminalstatistik in den letzten Jahren den traurigen Trend verzeichnen, dass immer mehr minderjährige Tatverdächtige über digitale Sexualdelikte in Erscheinung treten. Teilweise reden wir über 40 bis 50% der Tatverdächtigen.
Und hier muss man aus meiner Sicht unterscheiden zwischen zwei groben Richtungen.
Einmal haben wir zum Beispiel einen Siebzehnjährigen, der auf eine Elfjährige einwirkt um von ihr übers Smartphone ein Nacktbild zu erhalten. Das ist klassisches Cybergrooming und klassische Deliktsbegehung.
Und dann haben wir Delikte, wo digitale Bildung das Relevante ist. Beispielsweise wenn eine Vierzehnjährige mit ihrem dreizehnjährigen Freund Nacktbilder austauscht und niemand mit ihr darüber geredet hat, was hier eigentlich strafbar ist. Und sie dann also Sexting betreibt und auf einmal mit einer Strafbarkeit konfrontiert wird. Oder wenn Kinder und Jugendliche in einem Klassenchat sind, wo irgendjemand ein solches Bild postet und das dann vollautomatisch heruntergeladen wird und auf einmal eine Besitzstrafbarkeit, zum Beispiel von kinderpornografischen Delikten, im Raum steht. Da brauchen wir eher digitale Bildung als Strafrecht und hier müssen wir ansetzen.
PsG.nrw: Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Risiken für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum?
Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger: Es gibt nicht dieses eine Risiko, wo man sagen kann: Wenn man das in den Griff kriegen könnte, wäre der digitale Raum für Kinder sicherer.
Vielmehr ist es so, dass im Prinzip der digitale Raum von Erwachsenen für Erwachsene geschaffen wurde, und Schutzinteressen von Kindern spielen dabei eigentlich keine Rolle. Das merkt man bis heute. Es ist immer noch so, dass es für viele Kinder Normalität darstellen kann, im digitalen Raum mit Sexualdelikten und pornografischen Inhalten konfrontiert zu werden. Dass sie vielleicht auf Hassnachrichten treffen, auf Fake News, auf Challenges.
Es kann also nicht darum gehen, ein Phänomen in irgendeiner Form in den Griff zu kriegen, sondern es muss generell darum gehen, einen digitalen Raum zu schaffen, der auch für Kinder sicher ist. Und das sehe ich gegenwärtig in keiner Form.
PsG.nrw: Hier sind also die Plattform-Anbieter*innen und alle gesellschaftlichen Akteur*innen in der Verantwortung.
Wie können wir Kinder und Jugendliche aus kriminologischer Sicht denn am besten schützen?
Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger: Gegenwärtig sind der beste Schutz für die eigenen Kinder immer noch motivierte Eltern, die sich selber fortbilden und die versuchen, ihre Kinder auf diesen digitalen Raum vorzubereiten. Wovon ich wenig halte, ist eine generelle Diskussion zum Verbot, wenn mit so einer Verbotsdiskussion nicht einhergeht, dass Kinder und Jugendliche trotzdem auf diesen digitalen Raum durch digitale Bildung vorbereitet werden. Denn das ist entscheidend: Das Social Media-Zeitalter fängt aus meiner Sicht jetzt schon an auszulaufen. Was nun vor uns steht, ist das KI-Zeitalter. Und das wird uns nochmal vor ganz andere Herausforderungen stellen, auf die wir uns jetzt schon vorbereiten müssen.