Neue Technologien: Chancen und Risiken für den Schutz junger Menschen vor sexualisierter Gewalt

    Zehnter Europäischer Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt am 18.11.2024

    Köln, den 14.11.2024. Chancen und Risiken von neuen Technologien für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt – das ist das Motto des diesjährigen Europäischen Tages zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt am 18. November 2024.

    Im Themenfeld der Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt werden neue Technologien, etwa Künstliche Intelligenzen (KI), eher als wachsende Gefahr wahrgenommen. Dafür gibt es gute Gründe:

    Ob Cybergrooming, bildbasierte sexualisierte Gewalt oder die Verbreitung von Deepfake-Inhalten – neue Technologien bieten neue Möglichkeiten für Täter*innen, um Menschen zu manipulieren und Übergriffe zu begehen. Sie ermöglichen eine erhöhte Anonymität und erleichtern so den Zugang zu Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig erschweren sie durch die Möglichkeit der Verschleierung die Strafverfolgung. Angebote wie Klicksafe.de und Jugendschutz.net informieren Erziehende und pädagogische Fachkräfte laufend über Entwicklungen und Handlungsmöglichkeiten (siehe auch den Jahresbericht 2023 von Jugendschutz.net).  

    Aber es gibt auch bemerkenswerte Chancen und Potentiale. Ein Beispiel für den gewinnbringenden Einsatz neuer Technologien im Kinderschutz ist das innovative Trainingsprogramm „ViContact“, das pädagogischen Fachkräften dabei hilft, sich auf herausfordernde Gesprächssituationen vorzubereiten, wenn sie sexualisierte Gewalt vermuten.

    Eine kürzlich erfolgte Umfrage der PsG.nrw unter Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe zeigte einmal mehr, wie groß das Bedürfnis nach mehr Handlungssicherheit und gezielten Informationen zur Gesprächsführung im Verdachtsfall ist. Denn oft sind pädagogische Fach- und Lehrkräfte außerhalb der Familie die ersten Erwachsenen, die erste Anzeichen dafür bei Kindern und Jugendlichen wahrnehmen können, dass etwas nicht stimmt – sei es durch plötzliche Verhaltensänderungen, Leistungsabfall oder sozialen Rückzug. Die Gründe können vielfältig sein. In diesen Momenten kommt es somit auf eine wertfreie, unterstützende und ergebnisoffene Gesprächsführung an, um den Kindern und Jugendlichen im Erstgespräch den Raum zu geben, sich zu öffnen, und dann angemessene weitere Schritte einzuleiten.

    In diesem Kontext bietet das ViContact-Training eine praxisnahe Lösung, um Fachkräfte im professionellen Umfeld zu stärken. In einem innovativen Virtual-Reality-Setting üben Teilnehmende mit virtuellen „Kindern“ Frage- und Gesprächstechniken für Erstgespräche. Diese Praxisnähe ermöglicht es den Teilnehmenden, ihre Kommunikationstechniken zu verfeinern und direktes Feedback zu erhalten. Elsa Gewehr und Anett Tamm von der Psychologischen Hochschule Berlin : „Wir haben eine umfassende Evaluation durchgeführt und festgestellt: Die Teilnehmenden verbessern sich in ihrer Art, Fragen zu stellen, sie verbessern sich in ihrer Art, das Kind emotional zu unterstützen. Sie fühlen sich viel selbstwirksamer im Anschluss und trauen sich viel mehr selbst zu, solche Gespräche zu führen.“

    Das Programm wurde im Rahmen eines Verbunds-Forschungsprojekts von der Psychologischen Hochschule Berlin, der Universitätsmedizin Göttingen und der Europa-Universität Flensburg entwickelt und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. ViContact befindet sich derzeit in der Abschlussphase und wird Fachkräften voraussichtlich im Laufe des Jahres 2025 zugänglich gemacht. Die PsG.nrw wird darüber informieren.

    Ein Interview der PsG.nrw mit Anett Tamm und Elsa Gewehr (Psychologinnen und Mitarbeitende im Projekt) und weitere Informationen finden Interessierte hier.

     

    Zum Weiterlesen:

    Europäischer Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt

    Jahresbericht von Jugendschutz.net

    Klicksafe: Bildbasierte sexualisierte Gewalt, Cybergrooming, Deepfakes

    Baustein „Intervention“ im Rechte- und Schutzkonzept für Organisationen (PsG.nrw)

    ViContact: Eine Teilnehmerin mit VR-Brille und das Kind im virtuellen Setting

    Elsa Gewehr (M. Sc. Psychologie, M. Sc. Rechtspsychologie) ist als Rechtspsychologin in Wissenschaft und Praxis tätig. Sie ist Mitentwicklerin des ViContact-Trainingssystems und Teil des ViContact-Projektteams an der Psychologischen Hochschule Berlin. Sie promoviert bei Frau Prof. Dr. Renate Volbert zu individuellen Unterschieden im suggestiven Frageverhalten von Erwachsenen in Gesprächen mit Kindern über sexuellen Missbrauch. Im Jahr 2025 wird sie eine Professur für Kriminalpsychologie an der Macromedia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Berlin antreten. In der Praxis ist sie als aussagepsychologische Sachverständige für Strafverfahren tätig. 

    Anett Tamm (Dipl.-Psych., Fachpsychologin für Rechtspsychologie) hat als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Psychologischen Hochschule Berlin das Trainingssystem zur Gesprächsführung in Verdachtsfällen von Missbrauch und Misshandlung „ViContact“ mit entwickelt. In der Forschung gilt ihr besonderes Interesse der unterstützenden Gesprächsführung. Außerdem arbeitet sie als psychologische Sachverständige mit Schwerpunkt Aussagepsychologie. Sie ist Mitbegründerin des Zentrums für Aussagepsychologie in Berlin und unterrichtet neben der Gutachten- und Forschungstätigkeit Personen diverser Professionen zu aussagepsychologischen Themen.

    Die PsG.nrw ist die erste Fachstelle eines Bundeslandes zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Vorrangig richtet sich ihr Angebot an Fachkräfte der freien Kinder- und Jugendhilfe und Akteur*innen in der Prävention von sexualisierter Gewalt. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Wissensvermittlung, fachliche Vernetzung, die flächendeckende Qualifizierung von Fachkräften und die Verankerung von institutionellen Schutzkonzepten. Die PsG.nrw berät zu Schutz und Vorbeugung, vernetzt Akteur*innen und Angebote und leistet einen aktiven Beitrag zur Qualitätsentwicklung. Außerdem vermittelt sie an Fachberatungsstellen und regionale Angebote. So schafft sie Handlungssicherheit und Orientierung. Die Fachstelle sitzt in Köln und wird gefördert vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW. Trägerin ist die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) NRW. Auf regionaler Ebene wird die PsG.nrw von 5 Regionalstellen in den einzelnen Regierungsbezirken unterstützt.