Risikofaktoren in Organisationen
Alle Organisationen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, bergen in mehr oder weniger stark ausgeprägtem Maß das Risiko, zum Ort für sexualisierte Gewalt zu werden. Täter*innen nutzen die Gelegenheitsstrukturen in pädagogischen Einrichtungen: Sie suchen sich gezielt Kontexte, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten.
Faktoren, die das Ausüben sexualisierter Gewalt begünstigen
Dabei wissen wir, dass zum einen solche Organisationen besonders anfällig für sexualisierte Gewalt sind, in denen sehr strenge Macht-, Abhängigkeits- und Hierarchieverhältnisse und ein autoritärer Leitungsstil herrschen. Auf der anderen Seite begünstigen auch solche Einrichtungen das strategische Vorgehen von Täter*innen, in denen es kaum Strukturen, also keine klaren Regeln, keine Verantwortungsübernahme durch die Leitung oder kein pädagogisches Konzept gibt.
Denn im ersten Fall können Täter*innen die Macht und Hierarchie ausnutzen, um Druck und Abhängigkeit bei den Betroffenen zu erzeugen. Und im zweiten Fall werden die vorhandenen Freiräume ausgenutzt.
Ebenso sind sowohl eine zu starke Abschottung der Einrichtung nach außen als auch eine zu weit gehende Öffnung derselben Risikofaktoren. Denn zum einen können Vorfälle so besser verborgen bleiben, zum anderen finden Täter*innen leicht Zugang.
Wenn Kinder und Jugendliche in ihrer Autonomie nicht ausreichend gefördert werden, bleiben sie in einem Abhängigkeitsverhältnis, das sie gefährdet. Weitere Faktoren, die sexualisierte Gewalt begünstigen, sind eine Orientierung an traditionellen Geschlechterrollen, das Fehlen von sexueller Bildung bzw. ausreichender Sexualpädagogik, die Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen sowie ein lockerer Umgang mit Grenzen.
Was können Organisationen also tun, um sich zu schützen?
Mit Schutzkonzepten, die wir in den folgenden Newslettern thematisieren und vertiefen werden, gibt es glücklicherweise unentbehrliche Instrumente, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der eigenen Einrichtung ganzheitlich und so weit wie möglich zu verankern.
Am Anfang eines jeden Schutzkonzeptprozesses steht die Potenzial- und Risikoanalyse. Die Potenzialanalyse hat das Ziel, die Ressourcen und Stärken der Einrichtung in Bezug auf die Umsetzung eines Schutzkonzeptes zu analysieren, wie etwa bereits bestehende Maßnahmen, Kompetenzen von Mitarbeitenden oder auch bereits bestehende Kooperationen mit spezialisierter Fachberatung oder dem Jugendamt.
Bei der Risikoanalyse geht es darum, die Risikofaktoren, die jede Organisation in unterschiedlichem Maße mitbringt, zu identifizieren. Und zwar in Bezug auf die Zielgruppe, auf den jeweiligen Kontext der pädagogischen Situationen, mit Blick auf das Personal und die Personalpolitik, auf Kommunikations- und Entscheidungswege und auf die Betreuungsverhältnisse. Generell müssen all diese Aspekte organisationsspezifisch und auch auf verschiedene Arten von Gewalt, also Übergriffe durch Erwachsene auf Jugendliche, von Jugendlichen auf Erwachsene und auch Gewalt unter den Kindern und Jugendlichen, reflektiert werden.