An vielen Stellen in unserer Gesellschaft ist aktuell eine starke Vereinnahmung von Diskursen zu beobachten und gelebte Werte wie Offenheit und Akzeptanz werden insbesondere durch rechte Akteur*innen massiv in Frage gestellt. In diesem Newsletter schauen wir darauf, in welche Richtung diese Vereinnahmung im Themenfeld der Prävention sexualisierter Gewalt und Sexueller Bildung geht.
Sexuelle Selbstbestimmung und Vielfalt
Rechte Akteur*innen und Neo-Nazis lehnen sexuelle Selbstbestimmung ab, weil diese ihrem Wertebild fundamental entgegensteht. Sie vertreten ein konservatives Familienbild. Demnach besteht eine Familie aus einer Mutter und einem Vater, die in einer heterosexuellen und monogamen Paar-Beziehung leben und miteinander verheiratet sind. Ausschließlich in einer solchen Familienkonstellation sollen aus Sicht von Rechten Kinder aufwachsen. Auch sind in dieser Vorstellung die Geschlechterrollen traditionell verteilt: Männer bringen das Familieneinkommen durch ihre Erwerbstätigkeit ein, Frauen sind für die Erziehung der Kinder und für den Haushalt zuständig. Kurzum: Das Idealbild von Familie, wie es in den 1950er-Jahren propagiert wurde, soll (wieder) als erstrebenswert gelten.
Alles davon Abweichende wird von rechter Ideologie abgewertet und angefeindet. In diesem Weltbild ist weder Platz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt noch für Selbstbestimmung und freie Entfaltung der individuellen Identität. Menschenrechtsbasierte Werte gelten sogar als Bedrohung für die von ihnen angestrebte Gesellschaft. Von dieser Ideologie sind nicht nur queere und trans* Menschen betroffen, sondern auch Cis-Personen werden massiv unter Druck gesetzt. Zum Beispiel auch alleinerziehende Elternteile. Somit legitimieren rechte Akteur*innen beispielsweise Angriffe, um ihre konservativen bis rechtsradikalen Positionen zu verteidigen.
Sexuelle Bildung
Dazu gehört auch die Ablehnung von Sexueller Bildung und sexualpädagogischen Angeboten für Kinder und Jugendliche, die auf eine selbstbestimmte und vielfältige Auslebung sexueller Identität hinarbeiten. Dabei hat sich das rechte Narrativ einer sogenannten „Frühsexualisierung“ etabliert. Dieser Erfindung liegt die Haltung zugrunde, dass Sexualität bei Kindern erst mit dem Eintritt in die Pubertät „geweckt“ werde und deswegen erst ab diesem Alter sexualitätsbezogene Inhalte besprochen und Informationen vermittelt werden dürften.
Die Tatsache, dass Menschen von Natur aus sexuelle Wesen sind und bereits Kinder sexualitätsbezogene Fragen haben, verbunden mit dem Recht auf altersangemessene Antworten, wird von der rechten Szene negiert. Dabei unterschlagen Rechte, dass sich kindliche Sexualität maßgeblich von erwachsener Sexualität unterscheidet und dementsprechend Begleitung braucht.
Weiterhin wird der Mythos verbreitet, dass junge Menschen durch Angebote Sexueller Bildung „umerzogen“ würden und ihnen zum Beispiel Heterosexualität „abtrainiert“ werden solle. Diese Erzählung ist nicht nur homosexualitäts- und queerfeindlich und entbehrt jedweder Realität, sie ist auch aus fachlicher Sicht schlichtweg falsch. Es ist empirisch belegt, dass eine altersangemessene Aufklärung und Begleitung Kinder und Jugendliche dabei unterstützt ein gesundes Verständnis für ihren Körper, für zwischenmenschliche Beziehungen und eigene Grenzen sowie die Grenzen anderer zu entwickeln. Sexuelle Bildung ist immer auch als Prävention sexualisierter Gewalt zu verstehen, denn es gilt der Grundsatz: „Nur wer Bescheid weiß, kann auch Bescheid sagen.“ Sexuelle Bildung ist demnach auch Kinderschutz! „Die Sexualpädagogik konfrontiert Kinder und Jugendliche nicht mit Sexualität, sondern sie ermöglicht es ihnen altersangemessen, zielgruppenorientiert und wertschätzend mit sich selbst, ihren Fragen und dem, was sie in ihrer Lebenswelt wahrnehmen, selbstbestimmt umzugehen.“ (https://gsp-ev.de/faqs-zur-sexualpaedagogik-sexuellen-bildung/, 17.12.2024) Verschwindet Sexuelle Bildung bzw. Sexualpädagogik als Disziplin aus Fachdiskursen und pädagogischer Praxis, so sind Kinder und Jugendliche schlechter vor sexualisierter Gewalt geschützt.
Die Forderung rechtspopulistischer Parteien, sexuelle Aufklärung ausschließlich in den familiären Kontext zu verlagern, verkennt eine zentrale Problematik: Sexualisierte Gewalt findet häufig innerhalb der Familie statt. Eine ausschließliche Beschränkung der Aufklärung auf das Elternhaus kann dazu führen, dass betroffene Kinder kaum Möglichkeiten haben, sich extern Hilfe zu suchen oder über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Die Fälle mehren sich, in denen rechte Akteur*innen aktiv gegen Angebote Sexueller Bildung vorgehen und zum Beispiel Einzelpersonen denunzieren, diffamieren und mit Hasstiraden überziehen oder anderweitig angreifen. Weil unser Bedürfnis Kinder zu schützen adressiert wird, führen diese Diskurse zu Verunsicherungen auch bei den pädagogischen Fach- und Leitungskräften, nicht nur im Umgang mit der Thematik, sondern auch aus Sorge vor Übergriffen Rechter.
Sexuelle Bildung als Kinderrecht
Die Sexuelle Bildung fördert das Recht auf Gesundheit (Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention), indem sie präventive Maßnahmen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit vermittelt. Sie hilft, Fehlinformationen zu vermeiden, gesunde Beziehungen zu fördern und riskantes Verhalten zu reduzieren. Zudem trägt sie dazu bei, geschlechterspezifische Ungleichheiten abzubauen und diskriminierende Strukturen zu hinterfragen. Außerdem ist Sexuelle Bildung ein zentraler Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrags (Artikel 29 der UN-Kinderrechtskonvention). Sie stärkt die persönliche Entwicklung, indem sie Kindern und Jugendlichen ermöglicht, informierte Entscheidungen zu treffen und sich selbstbestimmt mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen.
Die Landesfachstelle PsG.nrw fördert mit ihren Serviceangeboten im Bereich der Prävention sexualisierter Gewalt nicht nur den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt, sondern rückt auch den mit dem Kinderschutz untrennbar verbundenen Bereich der Sexuellen Bildung in den Fokus. Sie steht für die Förderung einer vielfältigen Gesellschaft und selbstbestimmter Entfaltung jeder einzelnen Person und leistet einen elementaren Beitrag zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Um es noch einmal zu betonen: Sexuelle Bildung ist immer auch Kinderschutz. Aus Sicht des Kinderschutzes ist es daher von Bedeutung, dass Sexuelle Bildung als Teil von pädagogischer Praxis nicht in Frage gestellt wird.
Mit diesem Newsletter versenden wir deshalb Literaturempfehlungen und Materialtipps, die noch einmal vertiefend rechte Diskurse und Gegenstrategien in den Blick nehmen. Zum Beispiel haben wir eine Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung verlinkt, die darlegt, warum Neo-Nazis Diskurse im Kinderschutz vereinnahmen und was hilfreiche Gegenstrategien sein können. Weiterhin ist beispielsweise genderdings.de von Dissens e.V. verlinkt, wo konkrete Argumentationen zu antifeministischen, LGBTQIA+- und vielfaltsfeindlichen Diskursen aufgeführt werden.
Wir hoffen, mit unserem Newsletter können wir Ihnen Hilfestellungen an die Hand geben, um die wichtigen Errungenschaften von Akzeptanz, Vielfalt und Selbstbestimmung im Sinne der höchstpersönlichen Rechte junger Menschen zu erhalten.
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