Überall da, wo Menschen zusammenkommen, kann es auch zu Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen kommen. Und Täter*innen, die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ausüben, gehen strategisch vor. In der Regel suchen sie sich Organisationen, die ihnen gute Gelegenheitsstrukturen bieten und es ihnen ermöglichen, unentdeckt zu agieren. Das sind in erster Linie alle Orte und Einrichtungen, in denen sich viele Kinder und Jugendliche aufhalten. Vor allem Einrichtungen, die bestimmte Merkmale aufweisen – z. B. starke Abgrenzung nach außen, autoritäre Struktur, fehlende fachliche Standards, Gewaltkultur, Missachtung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, Unterdrückung sexueller Themen – scheinen für Täter*innen attraktiv zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn sexualisierte Gewalt „kein Thema“ ist und nicht aktiv, etwa im Rahmen von Rechte- und Schutzkonzepten, aufgegriffen wird.
Darum müssen in allen Organisationen, in denen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und gelebt wird, Rechte- und Schutzkonzepte vorhanden sein und mit Leben gefüllt werden.
Alle Bausteine eines Rechte- und Schutzkonzeptes können, wenn sie fest verankert wurden und entsprechend in die Öffentlichkeit getragen werden, auf Täter*innen eine abschreckende Wirkung haben. Die Aussage allen Handelns im Sinne des Kinderschutzes ist: „Wir wissen, wie Täter*innen agieren, und setzen uns für den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein.“ Die Bausteine machen es zudem Täter*innen schwerer, unentdeckt zu bleiben.
Rechtlich betrachtet müssen alle Organisationen, die eine Betriebserlaubnis benötigen, das Wohl der Kinder und Jugendlichen gewährleisten. § 45 Absatz 2 des SGB VIII nennt für die Gewährleistung des Kindeswohls verschiedene Kriterien, zu denen seit der Reform des Kinder- und Jugendhilferechts im Juni 2021 auch die Entwicklung eines Gewaltschutzkonzepts zählt. Das Landeskinderschutzgesetz NRW, das am 1.5.2022 in Kraft getreten ist, hat die Verpflichtung erheblich ausgeweitet, mehr dazu hier.
Gleichermaßen gilt das Risiko sexualisierter Gewalt auch für den digitalen Raum, der insbesondere für Kinder und Jugendliche eine Erweiterung ihrer Lebenswelt bedeutet. Auch hier werden Erfahrungen gesammelt, Beziehungen gepflegt und Informationen beschafft, welche soziale Teilhabe ermöglichen. Gleichzeitig können auch hier Konflikte, Grenzverletzungen oder sexualisierte Übergriffe stattfinden, die in ihrer Beschaffenheit und Auswirkung traumatisch sein können. Darum muss ein Rechte- und Schutzkonzept Potentiale und Risiken auch im digitalen Raum in jedem seiner Bausteine mitdenken. Mitunter haben Fachkräfte in dieser Hinsicht ein starkes Orientierungsbedürfnis und suchen nach gesonderten Informationen hinsichtlich digitaler Phänomene wie Cybergrooming, Sexting oder sexistischer Gewalt im Netz. Der heutigen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen wird diese getrennte Betrachtung nicht mehr gerecht: digitale und nicht-digitale Lebenswelt korrespondieren und sind miteinander verbunden. Diese Ausgangslage muss noch weiter ins Bewusstsein gelangen und in der Entwicklung von Schutzkonzepten grundlegend verankert sein.
Mehr zu Formen von sexualisierter Gewalt im digitalen Raum finden Sie an dieser Stelle.