Schutzprozesse haben zum Ziel, Risiken von (sexualisierter) Gewalt zu minimieren und dementsprechend Organisationen zu möglichst sicheren Orten für Kinder und Jugendliche zu machen. Ein wesentlicher Kern ist wie bereits beschrieben die Risiko- und Potentialanalyse, bei der es darum geht, die Bedarfe und Ressourcen für Schutzbemühungen zu identifizieren. Je differenzierter, detaillierter und umfassender die Analyse durchgeführt wird, desto realistischer und praxisnäher werden die Ergebnisse.
Dementsprechend kann eine Risiko- und Potentialanalyse davon profitieren, wenn Gewaltausformungen differenziert in den Blick genommen werden, um offenzulegen, inwiefern sich verschiedene Formen der Gewalt in der Organisationpraxis etabliert haben.
Zum Beispiel lässt sich hier erörtern:
- Welches Verständnis hat die Organisation von Gewalt? Gibt es ein Bewusstsein für einen differenzierten Gewaltbegriff mit unterschiedlichen Ausformungen?
- Welche Regeln existieren in der Organisation, die den persönlichen Umgang untereinander beziehungsweise den pädagogischen Umgang zwischen Mitarbeitenden und Klient*innen festlegen?
- Gibt es Umgangsformen, Traditionen/Rituale oder „ungeschriebene Gesetze“, die Aspekte von zum Beispiel körperlichen Grenzüberschreitungen, verbaler Abwertung oder Missachtung von persönlichen Grenzen aufweisen (in allen Konstellationen)?
- Welche Verhaltens- und Kommunikationskultur existiert insbesondere unter den Mitarbeiter*innen? Gibt es eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und Achtung (auch in der Ansprache)? Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass sexualisierte Gewalt auch in mediatisierter Form auftritt, da digitale Medien Hilfsmittel und/oder Umgebung von Gewalthandlungen sein können?
Unter anderem Fragestellungen wie diese erweitern den Blick auf die eigenen Strukturen und legen den Fokus darauf, inwieweit Verhaltens- und Umgangsweisen, Sprache und Kommunikation oder Regeln (auch ungeschriebene) gewaltvoll sind und einer Veränderung bedürfen. Insbesondere Erwachsene haben die Möglichkeit zu überprüfen, inwiefern verschiedene Formen der Gewalt (bewusst oder unbewusst) Teil des organisationalen Alltags sind.
In einem zweiten Schritt lassen sich auf Grundlage der Erkenntnisse, die in der Risiko- und Potentialanalyse gewonnen wurden, konkrete Bausteine für das Rechte- und Schutzkonzept entwickeln. Auch dabei ist es möglich, alle Formen von Gewalt und Machtmissbrauch mitzudenken. So lassen sich beispielsweise Verhaltenserwartungen bezüglich der Nicht-Anwendung verbaler/psychischer Gewalt explizit in Verhaltensleitlinien und -kodexe implementieren. Ebenso können die Themen Gewaltprävention oder Deeskalationstraining mit in den Fortbildungsplan aufgenommen werden. Ein weiteres Beispiel ist die Möglichkeit, das Interventionsverfahren zu erweitern und interne Handlungsabläufe festzulegen, wenn es beispielsweise zu körperlichen Auseinandersetzungen unter Jugendlichen in der Einrichtung kommt.
Siehe dazu auch die Handreichung „Thema Jugend Kompakt. Rechte- und Schutzkonzepte in der Jugendverbandsarbeit“ der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend.