Es ist eine der Kernaufgaben von Fach- und Leitungskräften, das gesunde Aufwachsen junger Menschen in pädagogischen Einrichtungen bestmöglich zu gewährleisten. Dazu gehört auch der Schutz vor sexualisierten Übergriffen und Gewalt, ganz gleich, von wem mögliche Grenzüberschreitungen und Gewalthandlungen ausgehen.
Wie kann Präventionsarbeit in der Praxis aussehen?
Prävention von Übergriffen durch Kinder und Jugendliche
Junge Menschen brauchen informierte Erwachsene – Schulungen für Mitarbeitende
Nur informierte und handlungssichere Erwachsene können kompetente Ansprechpersonen für junge Menschen sein und einen Beitrag zur Prävention leisten.
Dazu bedarf es regelmäßiger Schulungen zu Themen wie Prävention von und Intervention bei (sexualisierter) Gewalt, Kinderschutz und Sexuelle Bildung. In Schulungen lassen sich beispielsweise folgende Fragestellungen erörtern:
- Wie erkenne ich Übergriffe durch junge Menschen?
- Was benötigen betroffene Kinder und Jugendliche?
- Wie gehe ich mit ihnen ins Gespräch?
- Welche rechtlichen Aspekte sind zu berücksichtigen?
Grenzachtung lernen – Bildungs- und Präventionsangebote für junge Menschen/geschlechtsspezifische Angebote
Das Kennenlernen eigener Grenzen sowie der Grenzen anderer ist eine Entwicklungsaufgabe junger Menschen. Fachkräfte können sie dabei begleiten und entsprechende Bildungsangebote initiieren. Im Sinne von Angeboten Sexueller Bildung und der Prävention sexualisierter Gewalt geht es unter anderem darum eine Vorstellung zu entwickeln, wo ihre eigenen Grenzen liegen und wie sie sich achtsam gegenüber anderen Personen verhalten können.
Zum Beispiel ist Flirten für viele junge Menschen eine wichtige Form des Aushandelns von Sexualität. Dabei werden auch Grenzen ausgetestet, mit dem Risiko, dass sie überschritten werden. Wie kann Flirten grenzachtend gestaltet werden? Diese Frage kann zum Beispiel in einem Workshop erarbeitet werden.
Darüber hinaus sind Themen wie Grenzachtung und Gleichberechtigung sowie Konsens in Freund*innenschaften und Liebesbeziehungen bedeutsam für junge Menschen. Wie können diese Beziehungen auf Augenhöhe gestaltet werden, ohne dass Gewaltdynamiken entstehen? – Aus Sicht von Prävention sind dies zentrale Themen, an denen Fachkräfte thematisch anknüpfen müssen.
Mitarbeitende setzen Maßstäbe – Eigene Umgangsformen reflektieren
Grundlegend haben Mitarbeitende im pädagogischen Alltag die Chance die Atmosphäre in der Einrichtung grenzachtend zu gestalten. Sie beeinflussen durch ihr Handeln, ihre Ansprache und die Umgangsformen maßgeblich das Einrichtungsklima. Junge Menschen orientieren sich daran und übernehmen Verhaltensweisen. Wenn Mitarbeitende im Kontakt Wertschätzung und angemessene Ansprache zeigen und persönliche Grenzen wahren, wirkt sich dies auch auf das Miteinander von Kindern und Jugendlichen aus. Das gilt auch für den Kontakt zwischen Kolleg*innen sowie zwischen Leitungskräften und Mitarbeitenden.
Grenzverletzungen begegnen, Handlungsalternativen entwickeln
Grenzverletzendes Verhalten zu zeigen kann zur Lebenswelt junger Menschen gehören. Dies kann unterschiedliche Hintergründe haben, z.B. weil sie sich damit von Erwachsenen abgrenzen wollen. Je nach Kontext bedarf es einer individuellen pädagogischen Bearbeitung durch Mitarbeitende.
Zum Beispiel kann sexistischer oder homofeindlicher Rap, der teilweise von Jugendlichen gehört wird, ein lebensweltbezogener Anlass sein, um über Grenzen, Grenzverletzungen oder Gewalt in der Peer-Group zu sprechen. Gibt es musikalische Alternativen, die Jugendlichen angeboten werden können? Möglicherweise können dadurch Impulse gesetzt werden, das eigene Verhalten zu überdenken und ein besseres Verständnis bei jungen Menschen zu erzeugen, warum Grenzachtung so bedeutsam ist. Auch Bildungsangebote zu dem Thema sind denkbar. Ebenso sind weitergehende Bildungsangebote mit Lebensweltbezug möglich.
Dieser Aspekt ist eng verwoben mit der oben erwähnten Gestaltung von Atmosphäre. Ein niedrigschwelliges Eingreifen bei Grenzverletzungen kann ein Schutzfaktor gegenüber der Entwicklung sexualisierter Gewaltdynamiken in der Einrichtung sein.
Signale setzen – Intervention ist Prävention
Das Einschreiten von Verantwortlichen bei Übergriffen und Gewalt gegen junge Menschen ist unerlässlich, um den Schutz der Betroffenen wiederherzustellen.
Das Intervenieren hat aber auch einen präventiven Charakter. Es zeigt jungen Menschen, dass Grenzverletzungen und Gewalt innerhalb der Einrichtung durch die Fachkräfte ernst genommen und bearbeitet werden. Dies hat eine doppelte Signalwirkung: Potentiell Betroffene sehen, dass sie im Bedarfsfall Hilfe und Unterstützung erhalten. Potentiell übergriffige Personen sehen, dass ein solches Verhalten keinen Platz hat. Dies kann das Sicherheitsgefühl junger Menschen stärken.
Wichtig ist, dass eine Intervention der Situation angemessen ist. Der parteiliche Betroffenenschutz ist unbedingt prioritär. Gegenüber übergriffigen Kindern und Jugendlichen besteht gleichzeitig eine pädagogische Verantwortung. In jedem Fall empfiehlt sich die Unterstützung durch eine spezialisierte Fachberatungsstelle, um fachgerecht intervenieren zu können.
Nachsorge ist Prävention – Angebote (auch) für übergriffige Kinder und Jugendliche
Von Gewalt und Übergriffen betroffene junge Menschen brauchen Unterstützung, mitunter auch durch professionelle Instanzen wie spezialisierte Fachberatungsstellen.
Für übergriffiges oder gewaltvolles Handeln junger Menschen gibt es einen individuellen Grund und es bedarf in jedem Fall einer professionellen Abklärung. Möglicherweise braucht der übergriffige junge Mensch therapeutische Unterstützung, um das Verhalten zu bearbeiten. Eine Einrichtung kann Sorgeverantwortliche bei der Suche nach einem entsprechenden Angebot unterstützen.
Achtsame Einrichtungskultur durch Rechte- und Schutzkonzepte etablieren
Die oben genannten Möglichkeiten sind konkrete Beispiele für Schutzmaßnahmen gegen Gewalt und Übergriffe durch junge Menschen. Für Einrichtungen und Organisationen empfiehlt es sich, Maßnahmen in einem Rechte- und Schutzkonzept zusammenzufassen, um den Schutz und die Rechte junger Menschen langfristig in der pädagogischen Praxis zu verankern.
Die richtige Haltung
Kindern und Jugendlichen fällt es leichter sich zu öffnen, wenn sie in ihrer Einrichtung eine Atmosphäre vorfinden, in der der Themenbereich „Grenzverletzungen, Sexualität und sexualisierte Gewalt“ kein Tabu ist und in der darüber gesprochen wird.
Unabhängig davon, ob Betroffene über ihre Erfahrungen berichten oder ob wir als Fachkräfte Grenzverletzungen beobachtet haben: Wichtig ist eine fachliche Haltung des Hinschauens, des Hinhörens und eine klare Positionierung gegen Gewalt.
In einer Einrichtung, in der eine Kultur der Achtsamkeit gepflegt wird, in der es eine Bereitschaft gibt aufmerksam zu sein und wahrzunehmen, werden sich Kinder und Jugendliche eher anvertrauen